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Deutsch-Chinesische Kooperation im ländlichen Sichuan
Traditionen bewahren, Zukunft gestalten

Umweltschutz, Denkmalpflege und eine wirtschaftlich nachhaltige Entwicklung ländlicher Räume gehen Hand in Hand. Die Natur und lokale Traditionen sind das größte Kapital, über das die Menschen auf dem Land verfügen. Diese Erkenntnis setzt sich auch in China immer weiter durch.

Im Januar 2018 verabschiedete die chinesische Zentralregierung das sogenannte "Dokument Nr. 1", das erste Dokument des Jahres, in dem umfassende politische Planungen dargelegt werden. Traditionell geht es darin um die Revitalisierung ländlicher Räume. Gleich zu Beginn heißt es:

„Fragen der Landwirtschaft, des ländlichen Raums und der ländlichen Bevölkerung sind für China von größter Bedeutung, denn sie betreffen elementar die Volkswirtschaft und die Wohlfahrt der Menschen. Ohne eine Modernisierung der Landwirtschaft und der ländlichen Räume gibt es keine Modernisierung Chinas.“

Das Dokument betont die zentrale Bedeutung der Diversifizierung ländlicher Wirtschaftsstrukturen. Es sollen stärkere Anreizstrukturen zur Gründung ländlicher Familienunternehmen in verschiedenen Branchen geschaffen werden. Neben der Landwirtschaft selbst sollen auch die Weiterverarbeitung landwirtschaftlicher Produkte sowie Handwerksbetriebe gestärkt werden. Öko- und Bauernhoftourismus können in einigen Regionen zusätzliche Einnahmequellen schaffen. In den aktuellen Planungen spielt die ökologische Nachhaltigkeit der Entwicklung eine deutlich größere Rolle als noch vor wenigen Jahren.

Deutsch-chinesisches Modellprojekt

Mit Hilfe von Chinas nationalem Ministerium für Natürliche Ressourcen sowie den zuständigen Stellen auf Provinz-, Stadt- und Kreisebene wurde die Gemeinde Jinyuan zu einem Modellprojekt für die nachhaltige Entwicklung ländlicher Räume. Die im Nordosten der Provinz Sichuan gelegene Kommune setzt sich aus einigen zerstreuten Dörfern zusammen. Seit 2017 profitiert sie von einer umfassenden Beratung durch deutsche Experten. Ziel ist eine Entwicklung, die sowohl den Zielen der chinesischen Regierung als auch deutschen Standards einer integrierten Entwicklung ländlicher Räume gerecht wird.

Hierzu lädt die Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) immer wieder deutsche Experten ein, die Entwicklungskonzepte aus Bayern in die Planungen einbringen. Parallel werden jährlich Schulungen für chinesische Landplaner und Regierungsbeamte im Freistaat organisiert.

Das in Fachkreisen hochangesehene Projekt weckte auch das Interesse der Altstipendiatenvereinigungen der HSS aus Peking und Shanghai, die sich im Rahmen einer Fachexkursion im September 2018 vor Ort selbst ein Bild machten.

Das Anwesen der Familie Wang stammt aus der Qing Dynastie

„Vitalitäts-Check“ durch bayerische Experten

Im fachlichen Austausch lernten die Altstipendiaten unter anderem den sogenannten „Vitalitäts-Check“ der Bayerischen Verwaltung für Ländliche Entwicklung kennen, ein Instrument zur Messung von baulichen und sozialen Indikatoren kommunaler Entwicklung im ländlichen Raum. Der Vitalitäts-Check gibt Aufschluss über die Lebensqualität der Menschen und vereinfacht kommunale Planungsprozesse.

In Deutschland wie in China stehen ländliche Gemeinden insbesondere aufgrund des demografischen Wandels, Veränderungen der Agrar- und Wirtschaftsstruktur sowie gesellschaftlicher und technologischer Entwicklungen vor enormen Herausforderungen.

In vielen Dörfern und Gemeinden führt eine Abnahme der früher typischen Funktionsvielfalt zu einem gesellschaftlichen und ökonomischen Vitalitätsverlust.

Als Antwort auf diese Herausforderungen stellt der Vitalitäts-Check Gemeinden und Planern ein Instrument zur Verfügung, das die entscheidenden Aspekte der kommunalen Entwicklung auf dem Land berücksichtigt. Der Check konzentriert sich auf relevante Themenfelder wie Bevölkerungsentwicklung, Flächennutzung, öffentliche Daseinsvorsorge, bürgerschaftliches Engagement sowie Wirtschaft und Arbeitsmarkt.

Die Bewertung und Interpretation der gewonnen Daten jedoch kann nicht allein durch standardisierte Instrumente erfolgen. Vielmehr braucht es einen breiten Diskussionsprozess aller betroffenen Akteure vor Ort. Die Bürger sind dabei die eigentlichen Protagonisten, die durch Planer und Verwaltungsbeamte mit fachlicher Expertise unterstützt werden.

Einige Elemente des bayerischen Vitalitäts-Checks finden jetzt auch in Sichuan Anwendung und helfen so, die Entwicklung zu systematisieren. Alle relevanten planerischen Maßnahmen werden nun auch hier in regelmäßigen Dorfversammlungen gemeinsam mit den Anwohnern diskutiert und entschieden.

Ökotourismus, Umweltschutz und Denkmalpflege

Beim Besuch der Gemeinde Jinyuan zeigten sich die Altstipendiaten beindruckt von der Schönheit der weitgehend unbelasteten Natur und des noch teilweise erhaltenen kulturellen Erbes der Region.

Der lokale Entwicklungsplan sieht eine Teilung der Gemeinde in verschiedene territoriale und funktionale Einheiten vor. Neben landwirtschaftlich genutzten Flächen wird es auch touristisch erschlossene Bereiche geben, die die einzigartige Dorfkultur für Besucher aus den umliegenden Städten erlebbar machen.

Bei Flurbereinigungsmaßnahmen, die zu höheren Erträgen beim Anbau von Mandarinen, Pfirsichen oder Paprikaschoten führen sollen, spielen Umweltschutzmaßnahmen eine herausragende Rolle. Durch moderne Bewässerungssysteme sollen Ressourcen eingespart werden. Im Norden der Gemeinde wird ein Bio-Landwirtschaftsmodell eingeführt, das weitgehend ohne umweltschädliche Düngemittel und Pestizide auskommt.

Das Anwesen der Familie Wang ist eines der wenigen erhaltenen historischen Gebäude der Gemeinde. Das Bauwerk, dessen Geschichte bis auf die Qing-Dynastie zurückgeht, ist wichtiges Zeugnis einer langen, wechselvollen Dorfgeschichte. Noch ist es nicht zu spät, das lange vernachlässigte Gebäude zu retten. Nach einer umfassenden Restaurierung soll es künftig zu einem Museum für Dorfkultur und -geschichte werden und so zahlreiche Besucher aus dem Umland anziehen.

Neu angelegte Radwege, die die einzelnen Dörfer der Gemeinde, historische Tempel, Wohnhäuser und Bauernhöfe miteinander verbinden, sollen ein umweltfreundliches und naturnahes Reiseerlebnis ermöglichen. Maßgeschneiderte Halb-, Ganz- und Zweitagestouren machen alle Sehenswürdigkeiten bequem für jedermann erreichbar, darunter auch ein kleiner Badeort, der auf dem Gebiet eines ehemaligen Salzbergwerks entstehen soll. 

Ein entscheidender Grundstein für den zu erwartenden Erfolg des Projekts wurde durch seine langfristige Planung gelegt. Gemeinsam mit den deutschen Experten haben die lokalen Behörden einen Entwicklungsplan ausgearbeitet, der bis ins Jahr 2035 reicht. Bis dahin soll Jinyuan mit seinem integrierten Entwicklungsansatz zu einem Vorbild für viele weitere Kommunen in China werden.

Autor: Dominik Sprenger