Print logo

Symposium zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben in China und Deutschland

In Europa wird die Verschuldung der öffentlichen Haushalte spätestens seit der Finanzkrise 2008 intensiv diskutiert. Nachdem China die Krise zunächst gut zu meistern schien, wachsen nun die Befürchtungen, dass die Langzeitfolgen auch dort zu Problemen führen könnten. Ein Symposium am 8. April 2016 in Peking bot Gelegenheit, Mittel und Wege auszuloten, wie notleidenden Regionen effektiv geholfen werden kann.

Eröffnung des Symposiums

Nach einer Begrüßung durch Alexander Birle, Projektleiter der Hanns-Seidel-Stiftung in Peking, ging Professor Han Baojiang, Direktor der Abteilung für Wirtschaftswissenschaften der Hochschule des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas (Zentrale Parteihochschule), in seinen einleitenden Worten auf die aktuelle Situation der chinesischen Kommunen ein. Während auf der einen Seite das nachlassende Wirtschaftswachstum zu einem starken Rückgang der Wachstumsrate der Haushaltseinnahmen geführt hat, wachsen auf der anderen Seite die Ausgaben stetig, da Reformen in den Bereichen Wirtschaft, Bildung oder Soziales neue Investitionen notwendig machen. Die Bewältigung dieser Aufgaben ist nur möglich, wenn sowohl in der Politik als auch in der Finanzwirtschaft neue Wege beschritten werden.

Liang Peng von der Zentralen Parteihochschule

Weitgehende Zentralisierung in China

Thema des anschließenden ersten Vortrags von Professor Liang Peng, Mitarbeiter der Wirtschaftsabteilung der Zentralen Parteihochschule, war „die Verteilung öffentlicher Aufgaben und deren Finanzierung in China“. Zu beachten ist dabei zunächst, so Liang, dass die lokalen Regierungen an die Vorgaben aus Peking gebunden sind und von dort den Großteil der Mittel zur Finanzierung ihrer Aufgaben erhalten. Zentral für das Verständnis der heutigen Situation ist nach Liang die Steuerreform von 1994, im Zuge derer nicht nur die Steuereinnahmen, sondern auch die Aufgaben neu verteilt wurden. Wie in anderen Politikbereichen liegt auch bei Steuern und Abgaben die Gesetzgebungskompetenz bei der Zentralregierung, während die Durchführung von den lokalen Regierungen übernommen wird.

Die Aufteilung der Steuereinnahmen in China ähnelt dem deutschen System. Einige Einnahmen, wie zum Beispiel diejenigen aus der Umsatzsteuer, werden zwischen der Zentrale und der lokalen Ebene aufgeteilt, während andere, etwa die aus der KfZ-Steuer, auf lokaler Ebene verbleiben. Insgesamt führte die Reform jedoch dazu, dass der Anteil der Zentralregierung am Gesamtsteueraufkommen von etwa 30 auf heute 50 Prozent anstieg. 2015 transferierte die Zentralregierung annähernd 70 Prozent ihrer Einnahmen an die lokalen Regierungen. Es besteht jedoch weiterhin Bedarf, diesen Ausgleichsmechanismus zu institutionalisieren und zu optimieren. Eine horizontale Umverteilung zwischen den Provinzen findet bislang nicht statt.

Die Verteilung der Besteuerungskompetenzen sowie die Verteilung der Einnahmen zwischen der Zentrale und den unteren Ebenen stellt für Liang eine der größten Herausforderung für die angemessene Finanzierung öffentlicher Aufgaben auf lokaler Ebene dar. Derzeit fließen Steuerarten, die stabile Einnahmen versprechen, direkt der Zentrale zu, während solche, die stärkeren Schwankungen unterliegen, den lokalen Regierungen überlassen werden. Die Finanzausstattung der lokalen Ebenen muss also dringend durch eine Stärkung der eigenen Steuereinnahmen abgesichert werden. Aktuell wird diskutiert, ob dies durch eine Optimierung der Immobilienvertrags- und Vermögenssteuern erreicht werden kann.

Hinzu kommt, dass der rechtliche Rahmen für die Fiskalpolitik noch große Lücken aufweist, was sich etwa an dem Umstand zeigt, dass von den 18 Steuerarten, die derzeit existieren, nur drei vom Volkskongress verabschiedet wurden. Ebenso wenig ist die Verteilung der Steuereinnahmen von der Zentrale an die Provinzen und Kommunen in ausreichendem Maße rechtlich geregelt. Viele der derzeit laufenden Transferprogramme sind entweder zweckgebunden oder an Bedingungen geknüpft, die gerade die hilfsbedürftigsten Kommunen nicht erfüllen können.

Gisela Färber bei ihrem Vortrag

Der deutsche Finanzföderalismus

Im Anschluss referierte Professorin Gisela Färber von der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer über „die Verteilung von öffentlichen Aufgaben und deren Finanzierung in Deutschland“. Deutschland verfügt über einen dreistufigen Staatsaufbau, so Färber, der sich durch eine vergleichsweise kleine Regierung auf zentraler Ebene auszeichnet und innerhalb dessen komplexe Verschränkungen bestehen. Einen großen Unterschied zu China stellt das auf der Bundesebene verortete Sozialversicherungssystem dar. Dieses wird nicht etwa vom Staat, sondern von den Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften verwaltet, und trägt in erheblichem Maße zur Umverteilung von Einkommen in Deutschland bei.

Im deutschen Exekutivföderalismus ist die Gesetzgebung weitgehend zentralisiert, der Vollzug findet jedoch auf der Ebene der Länder und Gemeinden statt. Einfluss auf die Gesetzgebung können die Landesregierungen über den Bundesrat ausüben. Nach dem Subsidiaritätsprinzip werden öffentliche Aufgaben stets von einer möglichst niedrigen Staatsebene übernommen. Die Kommunen stellen die unterste Ebene der Verwaltung dar. Das deutsche Grundgesetz garantiert deren Selbstverwaltung inklusive eigener Gestaltungsaufgaben und Finanzautonomie. Jede Ebene trägt die Kosten der Ausführung der eigenen Aufgaben selbst. Diese Regelung führt oft zu Problemen, so Färber, da nicht der Gesetzgeber, sondern die umsetzende Staatsebene die Kosten neuer Gesetzgebung tragen muss. Die Länder haben deshalb durchgesetzt, dass der Bundesrat Gesetzen zustimmen muss, wenn die Länder einen Teil der darin vorgesehenen Kosten tragen. In fast allen Landesverfassungen wurde außerdem das Konnexitätsprinzip eingeführt, das die Länder dazu verpflichtet, den Kommunen zusätzliche Mittel zuzuweisen, wenn diesen neue Aufgaben zugeteilt werden.

Die meisten Einnahmen werden in Deutschland über die Lohn- und die Umsatzsteuer generiert, gefolgt von der Gewerbe- und der Energiesteuer. Die Steuergesetzgebungskompetenz ist weitgehend zentralisiert, jedoch muss der Bundesrat etwaigen Änderungen zustimmen. Dezentrale Steuergesetzgebungskompetenzen sind nur sehr begrenzt vorhanden. Beispielsweise können die Länder den Steuersatz bei der Grunderwerbssteuer selbst festlegen und kommunale Steuern wie die Zweitwohnungssteuer oder die Gewerbeertragssteuer regulieren.

Etwa 70 Prozent des Steueraufkommens sind Gemeinschaftssteuern, die sich Bund, Länder und Gemeinden teilen. Bundeseigene Steuern machen etwa 16 und eigene Gemeindesteuern circa neun Prozent aus. Von der Lohn- und Einkommenssteuer, der wichtigsten Gemeinschaftssteuer, fallen je 42,5 Prozent an Bund und Länder, die Gemeinden erhalten etwa 15 Prozent. Die Körperschaftssteuer wird zwischen Bund und Ländern geteilt, die Abgeltungssteuer fällt im Verhältnis 44:44:12 auf Bund, Länder und Kommunen. Die Umsatzsteuer spielt wiederum im Finanzausgleich eine wichtige Rolle, da deren Aufteilung grundsätzlich variabel ist, ohne dass eine Grundgesetzänderung notwendig wäre. Derzeit erhalten Bund und Länder etwa gleiche Teile, die Kommunen 2,2 Prozent.

Abschließend ging Färber auf die neuen Verschuldungsregeln ein. Laut diesen darf der Bund sich ab 2020 kaum noch und die Länder gar nicht mehr verschulden. Für die Kommunen gelten jedoch weiterhin die alten Vorschriften. Kommunen haben mit einem Anteil von etwa 20 Prozent zwar insgesamt deutlich niedrigere Schulden als die Länder, jedoch bestehen zwischen den einzelnen Kommunen große Unterschiede. Viele Kommunen werden in absehbarer Zeit nicht in der Lage sein, diese zu tilgen. Färber ist davon überzeugt, dass eine Ausweitung der Steuerautonomie der Länder zu einer verbesserten Schuldenverantwortung führen würde, was von den Ländern jedoch weitgehend ablehnt wird.

Während der Diskussion

Landnutzungsrechte als Einnahmequelle

In der anschließenden Diskussion wurde zunächst die Frage gestellt, wie hoch der Anteil der Einnahmen der lokalen Regierungen durch die Veräußerung von Landnutzungsrechten in China ist und ob ein ähnliches Vorgehen auch in Deutschland üblich ist. Im Jahre 2015 lagen die Einnahmen durch veräußerte Grundstücke in China insgesamt bei 3,3 Billionen RMB (circa 442,2 Milliarden Euro), so Liang. In den vorherigen Jahren lagen diese bei bis zu 5 Billionen RMB (circa 668,6 Milliarden Euro). Dieser Rückgang brachte viele lokale Regierungen in Schwierigkeiten. Ein wichtiger und oft übersehener Grund für den Verkauf von Landnutzungsrechten ist die Ansiedlung neuer Betriebe, da mittlerweile unter den Regionen ein harter Wettbewerb um Investoren herrscht, die oft nur durch Steuervergünstigungen oder billiges Land anzulocken sind.

Landnutzungsrechte: Laut Verfassung ist in China das Privateigentum an Boden ausgeschlossen. Innerstädtisches Land gehört dem Staat, der Boden außerhalb der Städte ist Eigentum der Kollektive. Sowohl in der Stadt als auch auf dem Land können aber befristete Landnutzungsrechte an Privatpersonen und Unternehmen ausgegeben werden. Zur Förderung des Allgemeinwohls, inklusive der wirtschaftlichen Entwicklung, sind außerdem Enteignungen zulässig. Die Zwangsenteignung von Bürgern, die an den Rändern der Städte leben, und der anschließende lukrative Verkauf der Landnutzungsrechte an Bauunternehmen haben im Zuge der schnellen Urbanisierung massiv zugenommen. Dabei kommt es immer wieder zu gewaltsamen Übergriffen und Protesten.

Liangs Einschätzung nach werden viele Lokalregierungen auch in den kommenden Jahren vom Verkauf von Landnutzungsrechten abhängig bleiben, es sei denn, die Bewertungskriterien für Beamte würden geändert und beispielsweise auch die Zufriedenheit der Bevölkerung in die Beurteilung einbezogen. Zentral ist jedoch die weitere Optimierung der Finanzausgleichsmechanismen, sodass ärmere Regionen auch ohne Landverkäufe über eine sichere Finanzausstattung verfügen.

Die Veräußerung von Grund und Boden hat in Deutschland nur eine sehr begrenzte Bedeutung, da dieses sich prinzipiell in Privateigentum befindet, so Färber. Doch auch in Deutschland kommt es vor, dass Kommunen Grundstücke aufkaufen, um diese später zu besonderen Konditionen an Unternehmen verkaufen zu können. Quantitativ sehr viel bedeutsamer ist jedoch die Privatisierung von kommunalen und Bundesunternehmen. Inzwischen werden jedoch viele dieser Verkäufe bedauert und es kommt zu Re-Kommunalisierungen.

Um einen kurzen Rückblick auf die Einnahmenentwicklung der öffentlichen Haushalte der letzten Jahre gebeten, setzte Färber 2005 ein, als die rot-grüne Bundesregierung die größten Steuerreformen der letzten 30 bis 40 Jahre umsetzte, indem sie die Einkommenssteuern massiv senkte. Die Finanzierung der deutschen Einheit hatte zu hohen Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen geführt und es wurde damit begonnen, im großen Stil Schulden aufzunehmen. Im Zuge der zweiten Föderalismusreform 2009 wurden daraufhin die neuen Schuldengrenzen beschlossen. Seit 2011 verzeichnet Deutschland nun das höchste Wachstum an Steuereinnahmen seit 30 Jahren, doch die vertikale Verteilung der Finanzmittel stellt weiterhin ein Problem dar. Der Bund verfügt über umfangreiche finanzielle Mittel, während Länder und Kommunen, die wichtige Aufgaben wie Bildung, Soziales und infrastrukturelle Aufgaben erfüllen müssen, oft gezwungen sind, Einsparungen vorzunehmen.

Li Xuzhang sprach zur Verschuldung der chinesischen Provinzen

Verschuldung noch im sicheren Bereich

Professor Li Xuzhang, ebenfalls Mitarbeiter der Abteilung für Wirtschaftswissenschaften der Zentralen Parteihochschule, eröffnete den Nachmittag mit einem Vortrag zum Thema „Finanzierungslücken und die Verschuldung der chinesischen Provinzen: Auslöser und Lösungsansätze“. Über Jahre wuchsen die Haushaltseinnahmen in China annähernd doppelt so schnell wie das Bruttoinlandsprodukt, so Li zu Beginn. Diese von vielen kritisch gesehene Entwicklung kam jedoch in den letzten Jahren zu einem Ende. So betrug das Wirtschaftswachstum 2015 6,9 Prozent, die Steuereinnahmen wuchsen jedoch nur um 5,8 Prozent. Auf lokaler Ebene war der Einbruch mit einer Wachstumsrate von nur noch 4 Prozent sogar noch dramatischer. Diese Zahlen weisen auf eine zunehmend schwierige Haushaltslage hin, so Li, die sich zum Beispiel darin äußert, dass den lokalen Regierungen mittlerweile etwa die Hälfte der Mittel fehlen, die notwendig wären, um ihre Ausgaben zu decken.

Eine der Hauptursachen für die derzeitige Unterversorgung der unteren Regierungsebenen ist die bereits erwähnte Steuerreform aus dem Jahr 1994. Hinzu kommen nachlassende Haushaltseinnahmen aufgrund der sich verlangsamenden Wirtschaftsentwicklung, sinkende Einnahmen aus der Veräußerung von Landnutzungsrechten sowie steigende Ausgaben für soziale Leistungen. Die anstehende Reform der Umsatzsteuer wird die Lage der Provinzen zusätzlich erschweren. Bisher standen die Einnahmen aus einer sogenannten Geschäftssteuer den lokalen Regierungen zu. Die Mehrwertsteuer jedoch, in der die Geschäftssteuer nun aufgehen soll, wird als Gemeinschaftssteuer zwischen der Zentrale und den Provinzen aufgeteilt werden.

Li ist der Meinung, dass die Schuldenproblematik im engen Zusammenhang mit dem Wettbewerb der Provinzen untereinander steht, der gleichzeitig aber auch maßgeblich zum wirtschaftlichen Aufschwung des Landes beigetragen hat. Li macht jedoch darauf aufmerksam, dass sich die Schulden der Zentral- und lokalen Regierungen derzeit auf insgesamt maximal 22 Billionen RMB (2,95 Billionen Euro) belaufen, wohingegen das Bruttoinlandsprodukt im vergangenen Jahr bei 67,7 Billion RMB (9,08 Billionen Euro) lag. Die Verschuldung bewegt sich also laut Li weiterhin in einem sicheren Bereich.

Nichtsdestotrotz sind finanzpolitische Maßnahmen und Reformen notwendig, um eine gesunde Weiterentwicklung der Wirtschaft zu ermöglichen. So plant die Zentralregierung derzeit, jährlich etwa 3 Billionen RMB (etwa 400 Milliarden Euro) in die Refinanzierung vorhandener Schulden zu investieren, die Schritt für Schritt durch Anleihen mit niedrigen Zinsen ersetzt werden sollen. Da in China alle lokalen Regierungen der Zentrale untergestellt sind, ist sichergestellt, dass diese Verantwortung für die Schulden der Lokalregierungen übernehmen wird. Insgesamt ist Li der Ansicht, dass eine maßvolle Kreditaufnahme durch lokale Regierungen weiterhin erlaubt sein sollte, um das derzeitige Wirtschaftswachstum halten zu können.

 

Christian Rodenberg war aus Berlin angereist

Der Länderfinanzausgleich steht zur Diskussion

Der anschließende Vortrag von Christian Rodenberg, stellvertretender Ausschusssekretär im Finanzausschuss des Bundesrats, zum Thema „Der Länderfinanzausgleich – Hilfe zur Selbsthilfe oder Finanzierung gleichwertiger Lebensverhältnisse?“ befasste sich mit den Grundprinzipien des Finanzausgleichs in Deutschland, dessen Ziel in erster Linie die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse und die Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit in allen Bundesländern ist. Der deutsche Finanzföderalismus hat nach Rodenberg wesentlich zur einheitlichen Entwicklung der Bundesrepublik beigetragen, sowohl nach dem Zweiten Weltkrieg als auch nach der Wiedervereinigung 1990.

Die Umverteilung erfolgt sowohl auf vertikaler Ebene, also vom Bund auf die Länder, als auch horizontal durch eine Verteilung der Steuereinnahmen zwischen den Ländern. Der Ausgleich wird über vier Stufen abgewickelt, auf deren erste, die vertikale Einnahmenverteilung, Färber in ihrem Vortrag bereits eingegangen war. Die zweite Stufe umfasst die Aufteilung des Steueraufkommens der Ländergesamtheit auf die einzelnen Länder. Maßgeblich ist dabei das örtliche Aufkommen. Auf dieser Stufe findet auch der Umsatzsteuervorwegausgleich statt, der sich nicht am örtlichen Aufkommen orientiert. Dabei werden 25 Prozent des Länderanteils der Umsatzsteuereinnahmen auf die Länder verteilt, deren Steueraufkommen unter 97 Prozent des Länderdurchschnitts liegt.

Die dritte Stufe, der Finanzausgleich zwischen den Ländern untereinander, ermöglicht die direkte Hilfe seitens der finanzstarken an finanzschwache Länder. Ziel ist Hilfe zur Selbsthilfe. Die Empfängerländer können selbst entscheiden, wie und wofür sie die erhaltenen Finanzmittel verwenden. Zur Berechnung des Mittelbedarfs werden die Einnahmen der Länder in Bezug zur jeweiligen Einwohnerzahl gesetzt. Den zahlenden Ländern müssen am Ende jedoch immer 100 Prozent der durchschnittlichen Finanzkraft erhalten bleiben.

Die Bundesergänzungszuweisungen bilden die vierte Stufe des Länderfinanzausgleichs. Hier unterscheidet man im Wesentlichen drei Arten: die Fehlbetragsbundesergänzungszuweisungen, die Bundesergänzungszuweisungen für teilungsbedingte Sonderlasten sowie die Zuweisungen zum Ausgleich „überdurchschnittlich hoher Kosten politischer Führung“. Mit dem Stabilitätsrat existiert eine Kontrollinstanz, die sicherstellen soll, dass die Länder die zugewiesenen Mittel nicht verschwenden.

Die Tatsache, dass erhaltene finanzielle Mittel aufgrund unterschiedlicher politischer Schwerpunkte zum Teil für Projekte ausgegeben werden, die die Geberländer als nicht sachgerecht ansehen, ist nach Rodenberg eines der Hauptkritikpunkte am Länderfinanzausgleich. Auch entstehende Fehlanreize sind problematisch, da Länder nicht unbedingt zum Sparen angehalten werden und solche, die ihre Steuereinnahmen erhöhen, nur wenig davon profitieren. Außerdem wird Kritik an Art und Umfang des Ausgleichs insgesamt geäußert, da er nach Meinung einiger die Unterschiede zwischen den Bundesländern zu sehr einebnet und den Subventionsstaat zementiert. Allerdings weist Rodenberg auch auf Erfolge des Länderfinanzausgleichs hin, beispielsweise den Aufbau der fünf neuen Länder nach der Wiedervereinigung sowie die Entwicklung Bayerns, das nach dem Zweiten Weltkrieg vom Nehmer- zum derzeit größten Geberland aufsteigen konnte.

Nachdem der Solidarpakt 2019 ausläuft, müssen die Bedingungen des Länderfinanzausgleichs in den nächsten Jahren komplett neu gestaltet werden. Nach dem Willen der Ministerpräsidentenkonferenz soll der horizontale Länderfinanzausgleich dann abgeschafft und durch eine Neuregelung der Verteilung der Umsatzsteuer ersetzt werden. Rodenberg sieht diesen Vorschlag jedoch kritisch, da dieser die Transparenz weiter einschränken und die Länder in eine noch größere Abhängigkeit zum Bund bringen würde.

Han Baojiang bei der Schlussbetrachtung

Gleichwertige Lebensverhältnisse und politischer Rechtfertigungsdruck

In der folgenden Diskussion wurde zunächst darum gebeten, den Ausdruck „gleichwertige Lebensverhältnisse“ genauer zu definieren. Diese werden vereinfachend durch Steuermesszahlen ermittelt, so Rodenberg. Außerdem wird die infrastrukturelle Ausstattung in Betracht gezogen. Die Erneuerung der Infrastruktur in den neuen Bundesländern etwa hat erheblich dazu beigetragen, die Lebensverhältnisse zwischen Ost und West anzugleichen. Diesbezüglich ergänzte Färber, dass die Garantie der „Gleichwertigkeit“ der Lebensverhältnisse eine Reaktion auf die deutsche Wiedervereinigung war, während zuvor noch die „Gleichheit“ der Lebensverhältnisse angestrebt worden war. Diese erschien jedoch 1990 nicht mehr als realistisches Ziel. Unter „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“ versteht man heute deshalb, dass die Kommunen mit ausreichend finanziellen Mitteln ausgestattet sind, um ihre Bürger mit den wichtigsten öffentlichen Leistungen wie etwa Schulen, Krankenhäusern oder Sozialleistungen auf bundesweit ähnlichem Niveau versorgen zu können.

Ein Teilnehmer erwähnte daraufhin, dass der deutsche Länderfinanzausgleich in China oft als beispielhaft angesehen wird, weswegen der Wunsch, diesen abzuschaffen, auf Unverständnis stößt. Es stellt sich deshalb die Frage, welche Gründe es für die Unzufriedenheit gibt. Nach Ansicht Rodenbergs ist die Ablehnung des Ausgleichsmechanismus in Deutschland meist politisch motiviert, da es vielen Politikern schwer fällt, ihren Wählern verständlich zu machen, warum Steuergelder aus ihrem Bundesland in ein anderes transferiert werden sollen. Der Vorschlag der Ministerpräsidentenkonferenz führt zu weniger Transparenz, wodurch der Druck zur politischen Rechtfertigung nachlässt. Rodenberg kann dieser Strategie allerdings wenig abgewinnen, da der transparentere Transfer von einem Länderhaushalt in den anderen zwar Erklärungen von den Entscheidungsträgern verlangt, gleichzeitig aber ein Akt der gelebten Solidarität ist. Er verwies außerdem darauf, dass sich die Richtung der Ausgleichszahlungen im Laufe der Jahre durchaus ändern kann. Während zunächst die Bergbauregionen im Ruhrgebiet über ausreichend finanzielle Mittel verfügten, haben später die ehemals ländlichen Regionen in Süddeutschland aufgeholt, sodass diese heute Geberländer geworden sind. Langfristig handelt es sich also um ein Geben und Nehmen, was allerdings oft verschwiegen wird.

In seiner Schlussbetrachtung betonte Han zunächst, dass mit dem Thema Finanzausgleichsmechanismen auch dieses Jahr wieder ein Diskussionsgegenstand gefunden wurde, an dem sowohl die deutsche als auch die chinesische Seite großes Interesse hat. Es bleibt zu hoffen, dass auch die politischen Entscheidungsträger sich intensiv mit dem Thema auseinandersetzen, so Han, da Anpassungen in der Verteilung der öffentlichen Finanzen nicht nur in Deutschland, sondern auch in China dringend notwendig sind. Über Kurz oder Lang führt deshalb auch in China kein Weg an funktionierenden vertikalen und horizontalen Umverteilungsmechanismen vorbei.

Autor: Jonas Rasch