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Summer School zur Entwicklung ländlicher Räume an der Renmin Universität Peking

Vom 3. bis 7. Juli veranstaltete die Abteilung für öffentliche Verwaltungs- und Politikwissenschaft der Renmin Universität Peking ihre Summer School zur Entwicklung ländlicher Räume. Insgesamt stellten dabei 14 Referenten aus den Themenbereichen Bodenpolitik, Gute Regierungsführung, Raumordnung, Flurneuordnung, Dorferneuerung sowie Naturschutz und Landschaftsplanung ihre Arbeit vor.

 

Prof. Dr. Magel bei seinem Vortrag zur räumlichen Gerechtigkeit

Räumliche Gerechtigkeit

China und Deutschland haben ein gemeinsames Entwicklungsziel: Es geht um die Balance zwischen städtischer und ländlicher Entwicklung sowie eine bessere Lebensqualität und bessere Arbeitsbedingungen für alle Menschen. Dieses Ziel beruht dabei im Grundsatz auf der allgemeinen Menschenwürde. In Deutschland und Bayern besteht darüber hinaus das verfassungsmäßige Ziel der gleichwertigen Lebensbedingungen in allen Landesteilen, das zu erreichen eine Frage der räumlichen Gerechtigkeit mit ihren vier Gerechtigkeitsfeldern (Chancen-, Verteilungs-, Verfahrens- und Generationengerechtigkeit) ist. Auch in China spielt die Generationengerechtigkeit eine Rolle, denn wie es ein chinesischer Referent ausgedrückt hat, müssten wir uns bei allen Entscheidungen ständig fragen, welche Welt wir unseren nächsten Generationen hinterlassen wollen.

Experte Willi Zimmermann engagiert sich in der Gruppenarbeit mit Teilnehmern

Grund und Boden im Zentrum

Eines gilt für Deutschland wie für China: Fast immer berühren politische Maßnahmen zur Herstellung räumlicher Gerechtigkeit (wie Infrastruktur- und Wohnungsbau, Industrie und Gewerbe oder auch Tourismus, Naturschutz und Landschaftsplanung) Grund und Boden. Es geht aber bei der Nutzung von Land und beim Landmanagement auch immer um Rechte, Einschränkungen und Verpflichtungen. Um diese zu gewährleisten braucht man eine übergeordnete Sichtweise und einen entsprechend weit gefassten Rahmen, die durch die drei Kategorien Menschen, Orte und Politik ausgedrückt werden. Wenn die Politiken falsch sind, leiden die Menschen und das Land darunter. Deshalb braucht man zum Beispiel die richtige Boden- und Raumpolitik oder Wirtschafts- und Landwirtschaftspolitik. Nachhaltige Entwicklungsstrategien und standortgerechte Landnutzungspläne sind gefragt. Die Menschen können aber nicht nur auf die Politik allein vertrauen, sondern müssen sich auch selbst entwickeln. Investitionen in Weiterbildung gehen beide an: die Regierung wie auch die Bürger. Ziel sind ländliche Gebiete, die technische und soziale Innovationen miteinander verknüpfen, und entsprechend befähigte Bürger, die dazu natürlich bestens ausgebildet sein müssen. In einem so hochdigitalisierten Land wie China sollte diese Vision des ländlichen Raumes keine bloße Utopie bleiben. Um all das zu erreichen braucht man ein umfassendes Landmanagement.

Teilnehmer präsentieren ihre Ergebnisse der Gruppenarbeit

Kooperation braucht eine gemeinsame Sprache

Jeder fachliche Austausch und jede Diskussion, ob an Hochschulen oder auf lokaler Ebene, bedarf der vorherigen Klärung von Begriffen und Verständnissen. Die Summer School hat deutlich gezeigt, dass es noch viele Missverständnisse zu klären gilt. Dies betrifft vor allem den diffusen Begriff Urbanisierung oder das Thema Landreform und Bodenpolitik. Es scheint, dass in China darunter viel mehr verstanden wird als in Deutschland. Auch Enteignung ist ein Begriff, der schnell zu Missverständnissen führt, wenn man die für Bauern sicherlich nicht leichte Praxis der Umwandlung von Agrarland in Bauland leichtfertig mit diesem Begriff belegt. Die im chinesischen Kontext häufig verwendeten Begriffe der „Ökologischen Zivilisation“ oder „Ökologischen Flurbereinigung“ sind ebenfalls schillernde Begriffe, die einer eindeutigen Klärung bedürfen. Und schließlich der Begriff Landmanagement selbst, der international leider nur wenig aussagekräftig definiert ist.

Alle Teilnehmer, Referenten und Veranstalter der Summer School 2017

Landmanagement als zentraler Begriff

In Deutschland jedoch gibt es zumindest innerhalb der geodätischen Professorenschaft eine Definition von Landmanagement, mit der sich die chinesischen Kollegen beschäftigen sollten, um davon ausgehend vielleicht zu einem gemeinsamen Verständnis von Landmanagement zu kommen. Umgekehrt gilt die Beschäftigung mit dem chinesischen Landmanagement-Begriff, so wie er vor allem an der Renmin Universität und beim chinesischen Ministerium für Land und Ressourcen verwendet wird, als Muss für die deutsche Seite. Während Prof. Holger Magel von humanem Landmanagement sprach, stellte Prof. Walter Timo de Vries seine, mit niederländischen Kollegen erarbeitete, Version des verantwortungsbewussten Landmanagements vor. Beiden wohnt der Gedanke der Ganzheitlichkeit und Gerechtigkeit inne. Beim humanen Landmanagement geht es um die vier räumlichen Gerechtigkeiten. Um sie zu messen und in ihrer Entwicklung örtlich und räumlich zu verfolgen, müssen eigene Kriterien vorliegen (in Bayern werden diese zurzeit entwickelt). Beim verantwortungsbewussten Landmanagement haben wir von acht Kategorien gehört (den acht Rs, wie zum Beispiel Reaktionsvermögen, Reflexion, Rückverfolgbarkeit), die nachvollziehbar und überall anwendbar sind – in Deutschland genauso wie in China, den USA oder Russland. Sicherlich werden je nach Land die Inhalte und Instrumente des Landmanagements unterschiedlich sein, vor allem im dynamischen Bereich der Landmanagementkomponenten, also da, wo es um Planungen und Maßnahmen geht. Kataster und Grundbuch (Register) als statische Elemente sollten idealerweise überall gegeben sein. Referenten und Teilnehmer vertraten gleichermaßen den Standpunkt, dass Landmanagement in China und Deutschland Landnutzungsplanung basierend auf integrierter Raumplanung beinhalten sollte. Zudem sollten auch Flurbereinigung sowie Dorferneuerung, Landschaftsplanung und auch zunehmend interkommunale regionale Entwicklungskonzepte enthalten sein. In Nanzhanglou, einem erfolgreichen Pilotprojekt der Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) in der chinesischen Provinz Shandong, wurde bereits eine solche kleinregionale Entwicklung angestoßen. Es besteht auf Seiten der deutschen Experten Bedarf an vertieftem Wissen und einem besseren Verständnis der Kriterien, die zum Erhalt beziehungsweise zur Erneuerung oder Beseitigung von Dörfern führen.

Ein Weißbuch der Boden- und Flächenpolitik

China ist eine Weltmacht, Deutschland ist es auf dem Gebiet der Wirtschaft und des Handels. Globale Agenden berühren und interessieren beide Länder, so auch auf dem Gebiet Land und Ressourcen. Im Rahmen des deutschen Beitrags von Politikberater Willi Zimmermann wurde noch einmal bestätigt: Landdegradation, anhaltend hoher Verbrauch der knappen Ressource Land und Klimawandelfolgen wie Hochwasser, Dürre, Desertifikation und Armut sind stets mit Landrechten, Landnutzungen und Landmanagement verbunden. Manche Länder verfügen über ein Weißbuch zur nationalen Boden- und Flächenpolitik – Deutschland und China jedoch nicht. In beiden Ländern muss man sich mühsam das Puzzle zu einem Gesamtbild zusammenstellen. Es wäre schön, wenn man zum Beispiel an der Renmin Universität eine solche Zusammenstellung der gesamten chinesischen Bodenpolitik und ihrer vielfältigen Verbindungen zu anderen Politikfeldern erstellen beziehungsweise, falls bereits vorhanden, diese Texte zur Verfügung stellen könnte.

Finanzierung ländlicher Gemeinden

Auf der Veranstaltung wurde viel Neues zur Situation der ländlichen Gemeinden in China und des ländlichen Bodenmarktes präsentiert. Von chinesischer Seite wurden zwei Dreiklänge vorgestellt: einmal der Dreiklang „Ressourcen, Investitionsgüter und Kapital“ und andererseits der Dreiklang „(stark eingreifender) Staat, Markt und Gesellschaft“. Vieles ist nun in Bewegung auf den Gebieten lokale Steuern und Flexibilisierung des Bodenmarktes. Gleichwohl ist festzuhalten, dass Deutschland und China fundamental verschiedene Unterstützungsmechanismen für ländliche Gemeinden haben. Chinesische Landgemeinden hängen immer noch viel zu sehr davon ab, wie sie Ackerland „vergolden“ können. China muss wohl einen anderen Weg finden, Gemeinden zu finanzieren, damit Landumwandlung nicht weiterhin die wichtigste Finanzquelle mit allen damit verbundenen Folgen für Bauern, Dörfer und Landschaften ist. In Deutschland gibt es andere gemeindliche Steuereinnahmen und vor allem einen staatlich garantierten Finanzausgleich für Gemeinden, der im Grunde den räumlichen Gerechtigkeitskriterien folgt.

Finanzausgleich

Band 12 der Schriftenreihe „Im Dialog mit China“, die von der Hanns-Seidel-Stiftung herausgegeben wird, beschäftigt sich mit dem Thema „Öffentliche Finanzen und Ausgleichsmechanismen in China und Deutschland“. Darin enthalten sind unter anderem Artikel zum Länderfinanzausgleich und zur Verschuldung chinesischer Kommunen. Das Heft kann unter www.hss.de/china heruntergeladen werden. 

Bildung und Weiterbildung

Professor Ye Jianping hat in seiner inspirierenden und im Grunde den Aussagen von Ministerpräsident Li Keqiang folgenden Zukunftsvision für lebenswerte ländliche Räume in China, in die gerne Städter und vor allem junge Familien und Akademiker zurückkehren, eine entscheidende Voraussetzung formuliert: Es dreht sich alles um Bildung und – wie Dr. Fahria Masum von der Technischen Universität München anschaulich gezeigt hat – den Ausbau von Fähigkeiten in all ihren vielfältigen Facetten. Landwirtschaft ist längst nicht mehr die Haupteinkommensquelle im ländlichen Raum. Es geht um Beschäftigung im Sekundär-  und Tertiärbereich mit neu geschaffenen Arbeitsplätzen in den Dörfern, Gemeinden, Kreisstädten und nahen größeren Zentren im ländlichen Raum und nicht in den tausende Kilometer entfernten Megastädten Peking, Shanghai, Wuhan und dergleichen. Dazu ist Bildung der Schlüssel für eine bessere Zukunft und für mehr Lebensqualität.

Es geht aber auch um die Entwicklung der Landmanagementkompetenzen bei den Beamten, um den gestiegenen Anforderungen im Beruf gerecht werden zu können, und es geht um diesbezügliche Kompetenzförderung der betroffenen Bürger, damit sich diese besser fachlich ausdrücken und beteiligen können (zum Beispiel bei der Planung des Dorfes oder der Landschaft). China könnte hier auf reiche Erfahrungen in Deutschland zurückgreifen und geeignete Methoden auf das eigene Land übertragen. In den zahlreichen vielversprechenden Pilotprojekten der HSS ist dies der Fall. Zudem gibt es in Qingzhou, ebenfalls in der Provinz Shandong, das Chinesisch-Deutsche Bildungs- und Forschungszentrum für Flurneuordnung und Landentwicklung als Fortbildungszentrum. Auch Hochschulen, etwa in Deutschland, haben neben den Aufgaben der Lehre und Forschung als drittes Standbein den Auftrag der Fort- und Weiterbildung. In diesem Kontext gilt, dass Weiterbildung nicht nur das Individuum angeht, sondern auch ganze Organisationen und Gesellschaften. Systematische und permanente Entwicklung von Teams und Behörden ist deshalb ein Gebot der Stunde. 

Bürgerbeteiligung

Partizipation wird auch in China ein hoher Stellenwert beigemessen. Vom einstigen Aufruf des früheren Ministerpräsidenten Wen Jiabao vor rund acht Jahren, den Stimmen auf dem Land Gehör zu schenken, bis zum Appell von Präsident Xi Jinping, mit den Menschen zu reden und zu arbeiten, war es nur ein kleiner Schritt. Bevor man all die verschiedenen Bürgerbeteiligungsmethoden anwendet, die zum Beispiel die deutschen Experten Karl Spindler und Markus Schaffert gezeigt haben, muss jedoch klar sein: jeder Bürgermeister, Beamte und Planer, der mit Menschen im Dorf arbeitet, muss diese schätzen und in ihrer Würde anerkennen. Er braucht die richtige ethische Haltung, das richtige Menschenbild, den richtigen Charakter, die richtige Persönlichkeit. Dann wird es ihm leichter gelingen, die Anliegen dieser Menschen ernst zu nehmen und umzusetzen. Es ist wichtig, dass bereits in der universitären Ausbildung auf diese zentralen ethischen Aspekte hingewiesen wird.

Reflektiertes Nachdenken

Ein Zitat des Präsidenten der berühmten Tsinghua Universität in Peking, Prof. Qiu Yong, kann als Anregung für alle 100 Teilnehmer aus ganz China und für alle deutschen und chinesischen Referenten der Summer School gelten: “Ich hoffe, dass der größte Erfolg, den Sie in den letzten vier Jahren an der Universität erzielt haben, die sukzessive Entwicklung Ihres eigenen Denkens war.“ Es wäre schön, wenn die Summer School mit ihren Vorträgen, Diskussionen und Workshops bei allen Anwesenden ein eigenständiges und reflektiertes Nachdenken über Landmanagement der Zukunft in China und in Deutschland und seine wichtige Rolle für die Menschen und das Land ausgelöst hätte.

Ein Format, das wiederholt werden sollte

Die Summer School 2017 der Abteilung für öffentliche Verwaltungs- und Politikwissenschaft der Renmin Universität Peking war fachlich ein großer Erfolg, was aus den Fragen und Diskussionen ersichtlich war. Offensichtlich befriedigte sie einen großen Bedarf der Landmanagement-Experten in China. Sie sollte zur Dauereinrichtung werden. Dabei sind durchaus Änderungen bei Ort, Veranstaltern, Zeitrahmen und Standard vorstellbar. Großer Dank geht an die Abteilung für öffentliche Verwaltungs- und Politikwissenschaft mit allen beteiligten Kollegen, insbesondere Prof. Qu Weidong, der die Hauptlast der Organisation zu tragen hatte, sowie an Dr. Michael Klaus, Projektleiter der HSS, der mit sicherer Hand die richtigen deutschen Experten vermittelt hat. Besonderer Dank geht auch an die renommierten Vertreter der Chinesischen Gesellschaft für Landwissenschaften (China Land Science Society), dem Nationalen Institut für Landvermessung und Planung (Chinese Land Survey and Planning Institute), und des Zentrums für Flurneuordnung und Rekultivierung (Land Consolidation and Rehabilitation Center). Schließlich gebührt auch den Teilnehmern und Kollegen aus den Ämtern, freien Büros, Universitäten und Forschungsinstitutionen Dank für ihr hohes Interesse und die anhaltende Präsenz.

Autor: Prof. Dr. Holger Magel