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Internationale Konferenz mit der Renmin-Universität
„Rückblick auf die 1970er Jahre und den Prozess der Globalisierung – Wandel durch Austausch und chinesisch-deutsche/europäische interkulturelle Zusammenarbeit”

Am 11 und 12. November 2022 organisierte die Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) zusammen mit der Renmin-Universität und u.a. mit der Konrad-Adenauer-Stiftung, der Chinesischen Forschungsgesellschaft für deutsche Geschichte, der Gesellschaft für Chinesisch-Deutsche

Freundschaft sowie der Universität zu Köln und der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität

Hannover in Peking im Hybridformat eine Internationale Konferenz, um zurückzublicken auf die chinesisch-deutschen und chinesisch-europäischen Beziehungen seit Aufnahme der diplomatischen Beziehungen in den 1970ern. Während der zwei Tage beleuchteten die über 30 renommierten Wissenschaftler und Experten die Entwicklungen der letzten 50 Jahren aus unterschiedlichen Blickwinkeln und gaben ihre Einschätzungen und Empfehlungen für die Zukunft.

 

Die zweitägige Konferenz fand vor dem Hintergrund von zwei besonders erfreulichen Jubiläen statt. Zum einen jährt sich in diesem Jahr die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik China zum 50. Mal. Darüber hinaus feiert die prestigeträchtige Renmin-Universität (RUC) ihr 85-jähriges Bestehen. Aus diesen Anlässen und zur Belebung des internationalen Austauschs hat Professorin Meng Hong (Fremdspracheninstitut und Deutschlandforschungszentrum der RUC) über 30 Experten aus China, Deutschland, Frankreich, den USA und anderen Ländern eingeladen, entweder vor Ort in Peking oder im Online-Format zu einer Konferenz zusammenkommen, um die so wichtigen sino-deutschen/europäischen Beziehungen aus unterschiedlichen Blickwinkeln – von der politischen und wirtschaftlichen bis zur kulturellen und philosophischen Ebene – zu beleuchten. Seit Beginn des 21. Jahrhunderts haben sich die Beziehungen zwischen China und Deutschland als die zweier wichtiger Gestaltungsmächte der neuen Weltordnung von einer Partnerschaft mit globaler Verantwortung zur allumfassenden strategischen Partnerschaft weiterentwickelt. Mehr als 80 Dialogmechanismen, darunter die Regierungskonsultationen, wurden in diesem Zuge etabliert. Die tiefgreifende Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern in den Bereichen Wirtschaft und Handel, Wissenschaft und Technologie, Kultur, Umweltschutz und Klima leistet wichtige Beiträge zur friedlichen und stabilen Entwicklung der Welt. Aufgrund kultureller und historischer Unterschiede, verschiedener politischer und sozialer Systeme sowie wirtschaftlicher Entwicklungen ist die interkulturelle Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern aber jüngst in eine neue Phase eingetreten, die von weltweiten Krisen geprägt ist, und in der die globale Ordnung neu gestaltet wird. Insbesondere in der Zeit, in der sich der militärische Konflikt zwischen Russland und der Ukraine akut zuspitzt. Diese Tagung sollte nun die Vergangenheit reflektieren, einen Ausblick auf die Zukunft werfen, Schlüsse aus den bisherigen Erfahrungen ziehen und neue Potenziale für die zukünftige Zusammenarbeit zwischen China und Deutschland/EU erschließen.

 

Blick aus unterschiedlichen Perspektiven ergibt Gesamtbild

Zu den zahlreichen chinesischen und internationalen Rednern, Moderatoren und Ehrengästen auf der Tagung gehörten u.a. der ehemalige chinesische Botschafter in Deutschland Shi Mingde, Chen Fang (Dekanin und Professorin am Fremdspracheninstitut der RUC), Cui Hongjian (Direktor des Instituts für Europastudien der Chinesischen Akademie für Internationale Studien), Hu Chunchun (Associate Professor und Direktor des Masterstudiengangs Europastudien, Shanghai Academy of Global Governance and Area), Jing Dexiang (Professor am Institut für Weltgeschichte der CASS,

Amtierender Vorsitzender der Chinesischen Forschungsgesellschaft der deutschen Geschichte), Markus Ferber (Vorsitzender der Hanns-Seidel-Stiftung, MdEP), Wolfgang Röhr (Senior Research Fellow, Tongji-Universität, ehemaliger deutscher Generalkonsul in Shanghai), Michael S. Cullen (US-amerikanischer Kulturwissenschaftler in Berlin) oder Dr. Katja Levy (Associate Professorin für Political Science an der Norwegian University of Science and Technology). Aufgrund der Vielzahl an Teilnehmern kann im Folgenden nicht im Detail auf jeden Vortrag eingegangen, sondern lediglich ein Überblick über einige wichtige Ergebnisse der Konferenz gegeben werden.

Der Vorsitzende der Hanns Seidel Stiftung, MdEP Markus Ferber

Blick aus unterschiedlichen Perspektiven ergibt Gesamtbild

Gleich in ihren Eröffnungsworten machten Prof. Du Peng (Vizepräsident für internationale Beziehungen sowie Professor und Direktor des Instituts für Gerontologie der RUC), Prof. Chen Fang, Botschafter Shi Mingde und Prof. Holger Blume (Vizepräsident für Forschung sowie Professor und Direktor des Instituts für Mikroelektronische Systeme an der Leibniz Universität) deutlich, wie wichtig und symbolträchtig der kurz vor der Konferenz erfolgte China-Besuch von Kanzler Olaf Scholz war. Er habe gezeigt, dass die chinesisch-deutschen Beziehungen auch diesen turbulenten Zeiten trotzen und weiterhin ein Stabilisator für die globale Gemeinschaft sein können. Zwar haben die Beziehungen in den letzten Jahren, vor allem seit Ausbruch der Pandemie, einige Rückschläge erlitten, der langfristige positive Trend, der sich seit den 1970ern abzeichnet, werde jedoch nicht beeinträchtigt. Auch wenn der Besuch nur 12 Stunden dauerte, so Botschafter Shi Mingde, werde er sich im Nachhinein als besonders prägend für die bilateralen Beziehungen erweisen, denn ein solch lange nicht mehr gesehener persönlicher Austausch auf höchster Ebene sei viel mehr wert als die unzähligen Videotreffen während der Pandemie. Markus Ferber betonte ebenfalls die Wichtigkeit von persönlichen Treffen und plädierte in einer Zeit, in der viel von „Entkopplung“ zu hören ist, stattdessen für mehr miteinander, mehr Austausch, mehr Zusammenarbeit, um die globalen Probleme gemeinsam zu lösen.

In den Beiträgen von Sun Lixin (Professor am Institut für Geschichte und Kultur der

Shandong-Universität), Wang Ying (Associate Professorin am Institut für Jura der RUC),

Wu Jiang (Professorin und Dekanin der School of German Studies, Beijing Foreign Studies University), Prof. Hu Chunchun, Thomas Serrier (Professor am Institut für Sprachen, Kulturen und Gesellschaft der Universität Lille) oder Michael Cullen wurden anschließend konkrete Ereignisse und Entwicklungen beleuchtet und ihr Einfluss auf den allgemeinen Trend der chinesisch-deutsch/europäischen Beziehungen analysiert. Prof. Serrier arbeitete zum Beispiel heraus, wie Deutschland und Frankreich es geschafft haben, eine Art gemeinsame Erinnerung an die von Krisen und sogar Kriegen geplagte Vergangenheit zu formen und auf diese Weise in den Jahrzehnten nach dem verheerenden Zweiten Weltkrieg gemeinsam zum Motor der europäischen Einigung werden konnten. Cullen, der die Idee zur berühmten Verschleierung des Reichstags durch Christo und Jeanne Claude hatte, berichtete detailreich davon, welch administrative Hürden überwunden werden mussten und wie das Ergebnis einen neuen und weniger historisch belasteten Blick auf den Reichstag ermöglichte. In Prof. Wus Vortrag wurde deutlich, welche Rolle Helmut Schmidt für die späteren Beziehungen hatte, da er erstmals trotz der geografischen (und politischen) Distanz von „Nachbar China“ sprach und betonte, wie wichtig es sei, sich „vor Ort“ ein Bild zu machen. Diese Ansicht knüpft direkt an die heutige Zeit an, wo nach drei Jahren der Pandemie ebenfalls deutlich wird, wie wichtig der direkte persönliche Austausch und eigene Erfahrungen sind, um nicht ausschließlich auf – oftmals verzerrte – Darstellungen in den Medien angewiesen zu sein. Zudem ordnete er die kritische Betrachtung des politischen Systems in China in den Kontext ein und fragte, auf welcher Grundlage Deutschland, das damals selbst erst einige Jahrzehnte die Demokratie praktizierte, China dieses Regierungsmodell als das „einzig Wahre“ vorschreiben möchte. Aus seinem pragmatischen Politikstil lassen sich Lehren für einen etwas offeneren und unvoreingenommeneren Dialog zwischen zwei Ländern mit unterschiedlichen Systemen ableiten.

Redner wie Wolfgang Röhr, Cui Hongjian, Jing Dexiang, Feng Zhongqing (Direktor des Instituts für Europastudien der CASS, Vorsitzender der Chinesischen Forschungsgesellschaft für Europastudien), Dr. Susanne Preuschoff (Leiterin des International Office der Universität zu Köln) oder Xiong Wei (Professor und Direktor des Forschungszentrums für regional- und ländervergleiche Außenpolitik der Chinesischen Universität für Auswärtigen Angelegenheiten) richteten ihren Blick mehr auf die aktuelle Situation und gaben Anregungen, wie man die bestehenden Konflikte überbrücken, bzw. trotz dieser Meinungsverschiedenheiten weiter effektiv zusammenarbeiten kann. Sie setzten sich in diesem Zusammenhang kritisch mit der Rolle der Medien, mit der „wertebasierten Diplomatie“ oder voreingenommenen Haltungen auseinander. Prof. Feng mahnte beispielsweise in seinem Vortrag, dass die auch in Deutschland präsenten Akteure, die eine Abkopplung von China fordern, nicht vergessen dürften, dass ein solcher Vorgang für die deutsche Wirtschaft sechs Mal so viel kosten würde wie der Brexit. Prof. Cui und Prof. Jing haben sich detailliert mit dem Einfluss der medialen Berichterstattung auseinandergesetzt und festgestellt, dass diese maßgeblich die öffentliche Meinung beeinflusst. In den deutschen Medien sei es, so Prof. Jing, offensichtlich, dass im Zusammenhang mit China fast immer über Unterschiede und Meinungsverschiedenheiten berichtet werde, während die zahlreichen Gemeinsamkeiten übergangen würden. Dies führe zwangsläufig zu einem negativen China-Bild und weniger Bereitschaft zur Kooperation. Prof. Jing sah auch die chinesischen Botschaften in der Pflicht, noch besser zu verstehen, wie die falschen Vorstellungen über China in Deutschland entstehen, um anschließend diesen verzerrten Darstellungen effektiv entgegenwirken zu können. Außerdem müssten sich beide Seiten, inklusive der Abkopplungs-Verfechter, worin eine solche Trennung denn überhaupt führen würde? Es sei unwahrscheinlich bis undenkbar, dass sich aus einer solchen Entscheidungen Verbesserungen ergeben würden – für keine Seite. Wolfgang Röhr äußerte sich ähnlich. Er plädierte ebenfalls dazu, weniger effekthascherisch zu berichten und eine neutralere Position einzunehmen. Wurde Scholz` jüngster Besuch in den Medien stets als „schwierigster China-Besuch“ dargestellt, fand der Besuch von Kanzler Helmut Kohl im Jahr 1987 in Wahrheit unter noch viel schwierigeren Vorzeichen statt. Zudem müsse man sich vor Augen führen, wie das China 1972 aussah, als Deutschland sich entschied, diplomatische Beziehungen aufzunehmen. China war großflächig noch von Armut geplagt und die Zustände während der Kulturrevolution waren chaotisch. Trotzdem nahm Deutschland eine pragmatische Haltung ein und sah das „Optimierungspotenzial“ Chinas. Diese „Realpolitik“ hat die Erfolgsgeschichte, die sich in den nächsten 50 Jahren ergeben sollte überhaupt erst ermöglicht. Aktuell agiere die deutsche Regierung dagegen eher „einäugig“ und schaue nur auf die Risiken, nicht auf die Chancen. Dass es auch in den Beziehungen mit anderen Ländern wie den USA – zum Beispiel durch eine erneute Trump-Präsidentschaft ab 2024 – erhebliche Risiken gibt, wird häufig übersehen. Er riet deshalb dazu, die bestehenden Meinungsunterschiede nicht das weiterhin enorme Potenzial überdecken zu lassen und zitierte in diesem Kontext Deng Xiaoping, der gefordert hatte, die aktuellen Konflikte ruhen zu lassen und ihre Lösung der nächsten Generation zu überlassen.

Autor: Ole Engelhardt