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Konferenz in Chongqing
Pilotprojekte der ländlichen Entwicklung

Die Hanns-Seidel-Stiftung engagiert sich chinaweit für eine nachhaltige Entwicklung ländlicher Räume. In Pilotprojekten werden deutsche Konzepte an die lokalen Bedingungen angepasst. Schon jetzt hat sich dadurch die Lebensqualität in den betroffenen Dörfern deutlich erhöht.

Eine Konferenz in Chongqing brachte über 100 Vertreter von Pilotprojekten aus verschiedenen Provinzen zusammen, um Erfahrungen auszutauschen und gemeinsam neue Ideen für die Zukunft zu entwickeln.

Die Entwicklung ländlicher Räume ist ein wichtiger Arbeitsschwerpunkt der Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) in China. Schon gegen Ende der 1980er Jahre wurde im Dorf Nanzhanglou in der bayerischen Partnerprovinz Shandong das erste Pilotprojekt der ländlichen Entwicklung initiiert. In den letzten Jahren sind mehrere weitere Pilotprojekte hinzugekommen.

Gemeinsam mit Chinas Ministerium für Natürliche Ressourcen engagiert sich die Stiftung seit 2007 im Dorf Zitong in der regierungsunmittelbaren Stadt Chongqing. Seit 2009 ist die HSS im Dorf Tongxi in der westchinesischen autonomen Region Ningxia aktiv. Im Jahr 2013 begann ein Pilotprojekt in der Gemeinde Sanbaishan in der Provinz Jiangxi und im Jahr 2017 ein weiteres in der Gemeinde Jinyuan in der Provinz Sichuan.

Während alle genannten Pilotprojekte in unzureichend entwickelten ländlichen Regionen liegen und daher bestimmte Entwicklungserfordernisse teilen, unterscheiden sich die einzelnen Dörfer klimatisch, topographisch und kulturell deutlich voneinander. Ningxia ist eine autonome Minderheitenregion in Westchina mit wenig Niederschlag, die südliche Provinz Jiangxi ist sehr wasserreich. Chongqing und Sichuan liegen im gebirgigen Zentralchina, Shandong im flacheren Osten.

Alle Projekte konnten in den letzten Jahren auf umfassende Beratung deutscher Experten zurückgreifen. Während die Entwicklungskonzepte stets an die jeweiligen regionalen Bedürfnisse angepasst werden, werden grundlegende Methoden einer integrierten ländlichen Entwicklung vermittelt, die schließlich chinaweit als Vorbild dienen und eine nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen im Sinne der lokalen Bevölkerung gewährleisten sollen.

Podiumsdiskussion während der Konferenz

Vernetzung in Chongqing

Gewissermaßen in der Mitte trafen sich im zentralchinesischen Chongqing am 17. und 18. Oktober 2018 Vertreter des nationalen Ministeriums für Natürliche Ressourcen mit Verantwortlichen der einzelnen Projekte sowie deutschen Landplanern und Bürgermeistern zu einem zweitägigen Symposium. Insgesamt nahmen mehr als 100 Personen aus Verwaltung und Wissenschaft teil.

Auf Einladung der HSS begleiten deutsche Experten die Pilotprojekte von Beginn an. Mit Uwe Raab (Stadt Pegnitz), Stefan Frühbeißer (Gemeinde Pottenstein) und Claus Meyer (Stadt Betzenstein) teilten drei oberfränkische Bürgermeister ihre praktischen Erfahrungen im Bereich der integrierten ländlichen Entwicklung. Unter anderem stellten sie das „Wirtschaftsband A9 Fränkische Schweiz“, einen Zusammenschluss von insgesamt 18 Kommunen, vor.

Unterstützt wurden sie dabei von Michael Breitenfelder, dem Umsetzungsmanager des Projekts, sowie zwei hochrangigen Vertretern des Amtes für Ländliche Entwicklung Oberfranken, Lothar Winkler und Thomas Müller. Sie gaben einen umfassenden Überblick über Problemstellungen und Lösungsansätze, die Gemeinden des Wirtschaftsbandes A9 für die Zukunft zu stärken und wettbewerbsfähig zu machen. Im Kern geht es bei kommunalen Zusammenschlüssen wie dem Wirtschaftsband A9 darum, dass gerade kleinere Kommunen im Verbund viel stärker sind als alleine. Öffentliche Infrastruktur wie Schulen oder Krankenhäuser, aber auch Freizeiteinrichtungen, können sich mehrere Dörfer teilen. Die Wirtschaftsplanung muss aufeinander abgestimmt werden, um größtmögliche Synergieeffekte zu erzielen. Auch touristische Attraktionen können sich gegenseitig ergänzen und so eine ganze Region ökonomisch und kulturell stärken.

Dr. Sabine Hafner und Professor Manfred Miosga von der Universität Bayreuth zeigten auf, wie Resilienz im Hinblick auf Klimawandel in die tägliche Arbeit eingebunden und wie das Bewusstsein hierfür auch in den Verwaltungen, die für die Entwicklung des ländlichen Raums zuständig sind, geschaffen werden muss.

Nanzhanglou: Pionierprojekt der deutsch-chinesischen Zusammenarbeit

Seit 1987 besteht die Partnerschaft zwischen dem Freistaat Bayern und der Provinz Shandong. Nur ein Jahr später wählte die HSS das Dorf Nanzhanglou nahe der Stadt Qingzhou als Standort des ersten deutsch-chinesischen Projekts für Flurneuordnung und Dorferneuerung aus. 2004 wurde in Qingzhou das Chinesisch-Deutsche Bildungs- und Forschungszentrum
für Flurneuordnung und Landentwicklung gegründet. Von hier aus werden seitdem alle Projekte der HSS im Bereich ländliche Entwicklung in ganz China koordiniert. Die Erfahrungen aus Nanzhanglou spielen hierbei eine entscheidende Rolle.

Mit seinen gut 4000 Einwohnern wirkt Nanzhanglou zunächst wie ein typisches Dorf in Shandong. Doch nach 30 Jahren gemeinsamer Entwicklung erkennt man bei genauerem Hinsehen einige Besonderheiten. Während viele Dörfer durch Abwanderung in die Städte immer mehr Menschen im arbeitsfähigen Alter verlieren, konnte dieser Trend in Nanzhanglou gestoppt, ja sogar umgekehrt werden. Heute gibt es sogar Zuwanderung aus den umliegenden Dörfern.

Bewässerungssysteme wurden modernisiert, Straßen und Feldwege auf ökologisch nachhaltige Weise befestigt. Wälder wurden aufgeforstet, kleinteilige Ackerbauflächen zusammengeführt, vergrößert und begradigt. So wurde ein effizienter Gebrauch von Landmaschinen möglich. Durch berufliche Bildung wurden die Einwohner in die Lage versetzt, landwirtschaftliche Nutzfahrzeuge selbst zu warten und zu reparieren. In den Bereichen Dienstleistung und Produktion wurden durch gezielte Förderung neue Arbeitsplätze geschaffen und die lokale Wirtschaftsstruktur diversifiziert. Das nahegelegene Berufsbildungszentrum Pingdu bildet in Zusammenarbeit mit der HSS unter anderem Bauern aus Nanzhanglou in verschiedenen landwirtschaftlichen Berufen aus.

Außerdem wurde das Dorf in verschiedene Funktionszonen eingeteilt: Eine Gewerbezone im Süden, agrarisch genutzte Flächen im Osten, Kultur und Bildung im Norden. Von den beiden zentral gelegenen Wohnvierteln aus lassen sich alle anderen Bereiche schnell erreichen. 

Der Erfolg der integrierten ländlichen Entwicklung in Nanzhanglou spricht für sich. Um das Konzept weiter zu verbreiten und stetig besser an die lokalen Bedingungen in verschiedenen Regionen Chinas anzupassen, startete die HSS gemeinsam mit dem Ministerium für Natürliche Ressourcen eine Reihe weiterer Pilotprojekte.

In Chongqing kamen Vertreter aus Projekten in ganz China zusammen

Zitong und Jinyuan: Pilotprojekte im Herzen Chinas

Die Dörfer Zitong in Chongqing und Jinyuan im nahegelegenen Sichuan haben eine Reihe der Ansätze aus Nanzhanglou übernommen. Landschaftsarchitekt Karl Spindler ist regelmäßig in China und sucht dabei immer wieder den direkten Kontakt zur ländlichen Bevölkerung, um diese aktiv in die Gestaltung ihrer eigenen Lebensumwelt einzubinden. In Chongqing  erklärte Spinder: „Die grundlegende Methodik der ländlichen Entwicklung kann und sollte kopiert werden. Die Inhalte sind ortsspezifisch von den Menschen selbst zu bestimmen.“

Während sich beispielsweise der Tourismus in Nanzhanglou kaum als Einnahmequelle eignet, verfügt Zitong über Potential, zu einem Naherholungsort für Menschen aus dem Zentrum Chongqings zu werden. Immerhin ist die Stadt am Yangtse mit gut 30 Millionen Einwohnern eine der bevölkerungsreichsten Metropolen der Welt.

Parallel zu einer optimierten Nutzung ländlicher Anbauflächen werden die kulturellen Ressourcen in Zitong, wie auch in Jinyuan, daher umso mehr zum Wirtschaftsfaktor. Der Schutz traditioneller Bauten mit Denkmalcharakter, den die HSS in allen Projekten mit Nachdruck fördert, wirft durch die touristische Nutzung hier ganz unmittelbare Profite ab.

Auch sogenannte „Blütenmeere“ sind in China eine beliebte Attraktion. Großflächiger Anbau von Pfirsichen oder anderen Nutzpflanzen kann neben der Produktion der eigentlichen Frucht, die am Ende in den Verkauf geht, saisonal erhebliche touristische Zusatzeinnahmen generieren. Doch muss auch hier auf Diversität geachtet werden. Mo Jianbing vom Flurneuordnungszentrum Chongqing wies darauf hin, dass es teilweise zu Nachahmungseffekten kommt, die die Wirtschaftlichkeit derartiger Attraktionen einschränken: Ein erfolgreiches Blumenmeer zieht in derselben Region mehrere weitere hinter sich her, die Touristen teilen sich auf und jedes einzelne Projekt generiert geringere Einnahmen. Daher muss jedes Projekt seine eigenen, einzigartigen Standortvorteile ausspielen. Vor allem aber muss, ähnlich wie beim oben beschriebenen Wirtschaftsband A9, eine interkommunale Abstimmung und Zusammenarbeit dafür sorgen, dass sich Projekte in benachbarten Kommunen gegenseitig ergänzen anstatt sich Konkurrenz zu machen. Bei erfolgreicher interkommunaler Zusammenarbeit können Synergieeffekte die Erträge jedes einzelnen Dorfes maximieren helfen.

Pilotprojekt Sanbaishan: Bürgerbeteiligung und Fachexpertise

Auch in Sanbaishan in der südchinesischen Provinz Jiangxi kommt eine Vielzahl der obengenannten Instrumente zum Einsatz. Sanbaishan ist eine Gemeinde, die aus acht Dörfern besteht, von denen drei schwerpunktmäßig von der HSS gefördert werden. Auch hier wurde durch planerische Maßnahmen eine funktionale Aufteilung der verschiedenen Nutzflächen erreicht. Größere Ackerflächen wurden für moderne maschinelle Anbaumethoden optimiert. Angebaut werden unter anderem Orangen, Tabak und Tee, die in dem warmen, subtropischen Klima beste Bedingungen vorfinden. Kleinere Flächen, auf denen traditioneller Terrassenbau betrieben wird, bleiben aufgrund ihres hohen kulturellen Werts erhalten und werden teils touristisch erschlossen. Agrarische Produkte werden vor Ort veredelt, sodass der Großteil des erwirtschafteten Gewinns den Bewohnern der Dörfer selbst zu Gute kommt.

Die Bürger bringen sich in allen Pilotprojekten aktiv in die Planungsprozesse ein. Hierfür werden unter anderem Fragebögen eingesetzt, in denen etwa Wünsche zur Verschönerung des Dorfbilds oder zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung ausgedrückt werden können. Auch werden die Menschen gefragt, wie sie in Zukunft ihr Einkommen erhöhen wollen. Die Auswertung hat gezeigt, dass in Sanbaishan immer mehr Menschen planen,  (Neben-)Einkünfte durch Tourismus zu erzielen und nur noch wenige Personen vorhaben, ihre Dörfer zu verlassen.

Ergänzend zu den Wünschen der Bürger muss bei der Entscheidungsfindung auch die Expertise der Landplaner eine maßgebliche Rolle spielen. Einige Sachverhalte, beispielsweise im Bereich der Straßenplanung, sind so komplex, dass der Bürger in Deutschland wie in China oft kaum in der Lage ist, selbst eine verlässliche Nachhaltigkeitsabwägung vorzunehmen. Ein entscheidender Erfolgsfaktor vieler Projekte der HSS liegt daher in der richtigen Balance zwischen Bürgerbeteiligung und Fachexpertise.

Die Konferenz in Chongqing im Oktober 2018 war die erste Gelegenheit, bei der Lenker und Entscheider aller HSS-Pilotprojekte zusammenkamen. In den Vorstellungen der Projekte, Fragerunden und Podiumsdiskussionen wurden wichtige Erfahrungen reflektiert. Auch in vielen persönlichen Gesprächen am Rande konnten sich die Vertreter der einzelnen Projekte zur Wirksamkeit von Fördermaßnahmen austauschen. Dabei lässt sich nicht nur aus Erfolgen lernen. Auch aus Fehlern, die bei Pilotprojekten nie ganz zu vermeiden sind, können andere Projekte wertvolle Rückschlüsse ziehen. Entscheidend dabei ist nicht in erster Linie die Geschwindigkeit, sondern die Nachhaltigkeit, die nur durch langfristige Planung erreicht werden kann.

Autor: Dominik Sprenger