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Natürlich war es Franz Josef Strauß - Wer sonst? 25 Jahre Projekt Nanzhanglou

Im Oktober 1990 startete die Hanns-Seidel-Stiftung ihr erstes Pilotprojekt in der ländlichen Entwicklung in China. Im Folgenden blickt Prof. Dr.-Ing. Holger Magel, der das Projekt mitinitiiert und als Fachexperte in verschiedenen Funktionen federführend über all die Jahre begleitet hat, auf die Geschichte der Zusammenarbeit zurück.

Durchbruch beim Mondfest

Als am 3. Oktober 2015 Deutschland den 25. Jahrestag seiner Wiedervereinigung beging, konnte im 9.000 Kilometer weit entfernten chinesischen Dorf Nanzhanglou ebenfalls ein silbernes Jubiläum gefeiert werden: Am 3. Oktober 1990 eröffneten Vertreter des Bayerischen Landwirtschaftsministeriums und der Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) anlässlich des Mondfestes inmitten von über 3.000 Dorfbewohnern die Planungen zur damals ziemlich einzigartigen Entwicklung von Dorf und Flur. Mit deutschen Mondliedern eroberten sie die Herzen von Jung und Alt und gaben damit den ermutigenden Startschuss für eine deutsch-chinesische Erfolgsgeschichte. Denn Nanzhanglou ist nicht nur vielen bayerischen Spitzenpolitikern und Experten durch vielfache Besuche bekannt, sondern gilt vor allem in China selbst als Vorzeigeprojekt und erstrebenswertes Modell für eine gelungene Dorf- und Landentwicklung und damit Stärkung des ländlichen Raumes. 

Die deutschen Experten auf einer Fahrradtour durchs Dorf

Wie kam es zu diesem Erfolg?

Wieder einmal waren es die Weitsicht und das Gespür von Bayerns politischem Urgestein Franz Josef Strauß, dessen 100. Geburtstag wir 2015 begehen. Er hat die im Juli 1987 gegründete Partnerschaft mit der chinesischen Provinz Shandong, der Heimat von Konfuzius, gewollt und – nachdem im ersten Anlauf nicht allzu viele gemeinsame Projekte gefunden wurden – nach seinem Shandong-Besuch im Oktober 1987 mit einem kleinen „Donnerwetter“ angeschoben. Dann kam Bewegung in die Angelegenheit und die Bayerische Staatskanzlei hat den bereits in der ersten Runde gemachten Vorschlag der Bayerischen Flurbereinigungsverwaltung, in China ein Modellprojekt zur Dorf- und Landentwicklung zu starten, akzeptiert. Warum? Weil auch von Shandonger Seite dieser Vorschlag kam – vom jungen Vermessungsingenieur Chen Chunde, der einige Monate zuvor in Peking an den erstmals 1982 durchgeführten Vorlesungen bayerischer Flurbereinigungsexperten über Flurbereinigung und Dorferneuerung im nationalen Hauptamt für Geodäsie und Kartographie teilgenommen hatte. Chen Chunde war wie seine Vorgängerkursteilnehmer fasziniert von Flurbereinigung und Dorferneuerung. Nun bot sich ihm die Chance zum konkreten Projekt. Er hat dann auch eine große Rolle bei der in der Geschichte Chinas erstmaligen vollständigen Katastervermessung eines Dorfes, nämlich von Nanzhanglou, gespielt.

Franz Josef Strauß war es auch, der im Februar 1988 eine bayerische Delegation von Spitzenbeamten aller Ministerien, versehen mit einer nun gut gefüllten Vorschlagsliste für mögliche Projekte, nach Shandong schickte. Mit dabei: Der Leiter des Instituts für Internationale Zusammenarbeit der HSS, Dr. Rainer Gepperth, der zu dieser Zeit bereits über mehrjährige Chinaerfahrung und ein imponierendes Netzwerk verfügte. Mit dabei auch der Vorschlag der chinesischen Seite, im Dorf Nanzhanglou, Kreis Qingzhou, das beiderseits gewünschte Dorf- und Landentwicklungsprojekt zu starten.   

Eine Bestandskarte aus den Anfängen des Projektes

1988 waren die ersten Bayern in Nanzhanglou

Delegationsteilnehmer Ministerialdirigent Günther Strößner, der damalige Leiter der Bayerischen Flurbereinigungsverwaltung, besuchte im kalten Februar 1988 als erster Bayer Nanzhanglou. Er versprach, Experten seiner Verwaltung zu schicken, um Erfolgsaussichten und weitere Schritte zur Dorf- und Landentwicklung zu eruieren. Mit untrüglichem Gespür für Machbarkeit und Akzeptanz in China hat Dr. Gepperth auf der Rückreise nach Deutschland der Flurbereinigungsverwaltung seine Kooperation bei der Durchführung des Projekts angeboten. Die Idee war: Fachliche Verantwortung liegt bei der Verwaltung, die organisatorische und finanzielle Trägerschaft bei der HSS. Dadurch kam es zum überaus erfolgreichen Schulterschluss von Bayerischer Flurbereinigungsverwaltung und HSS, die bis heute anhält.

Vor diesem Hintergrund besuchte noch im selben Jahr, im November 1988, das Trio Ministerialrat Dr. Holger Magel und HSS-Chinareferent Jürgen Wilke zusammen mit Ministerialrat Huber vom Kultusministerium, dem bayerischen Spezialisten für duale Berufsausbildung, zunächst das Dorf Nanzhanglou und anschließend die insbesondere von der staatlichen Erziehungskommission stark gewünschte künftige Ausbildungsstätte für landwirtschaftliche Berufe in Pingdu, Kreis Qingdao. 

Die Erziehungskommission musste erst noch überzeugt werden

Nach harten Tagen des Informierens und Überzeugens des zunächst überaus zögernden Vertreters der Erziehungskommission Zhang Baoqing war es schließlich klar: Bayerische Flurbereinigungsverwaltung und HSS steigen in Nanzhanglou ein. Die Projekte Nanzhanglou und Pingdu wurden als sich ergänzende wichtige Maßnahmen und Signale angesehen: Modern ausgebildete junge Landwirte und Handwerker sollten am Beispiel von Nanzhanglou anschaulich sehen, wie die Lebens- und Arbeitsqualität in Dorf und Flur verbessert werden kann durch ländliche Entwicklung, insbesondere durch Dorferneuerung und Flurbereinigung. Und die Bauern von Nanzhanglou sollten in Pingdu eine moderne Ausbildung bekommen. 

Ortsschild von Nanzhanglou

Duale Berufsausbildung und ländliche Entwicklung ergänzen sich

Dieser Zusammenhang zwischen Dualer Berufsausbildung und Ländlicher Entwicklung gilt heute mehr denn je. Wenn man vermeiden will, dass die durch Duale Ausbildung bestausgebildeten jungen Menschen aus Chinas ländlichen Räumen in die großen Städte abwandern, muss man sie durch bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen in den Städten und Dörfern des ländlichen Raumes halten.

Das macht die ländliche Entwicklung in China so unglaublich wichtig. Man kann deshalb sehr klar sagen: Duale Berufsausbildung ohne ländliche Entwicklung ist ebenso unvollkommen wie ländliche Entwicklung ohne Berufsausbildung! 

1988 war also der auch im „Steinewald“ von Nanzhanglou festgehaltene offizielle Startschuss von Nanzhanglou, dem 1989 bereits der erste Besuch einer Delegation aus Nanzhanglou nach Bayern folgte. In Verfahren der Bayerischen Flurbereinigungsverwaltung sollten die chinesischen Gäste eine Vorstellung davon bekommen, wie Dorferneuerung und Flurbereinigung in Zusammenarbeit mit den Behörden, Bauern und Bürgern arbeiten. 

Maisernte in Nanzhanglou Anfang der 1990er Jahre

Von Anbeginn haben die Dorfbewohner selbst mitgearbeitet und mitgeplant

Auf dieser Grundlage konnte das Quartett Dr. Magel, Regierungsdirektor Attenberger, Architekt Dr. Jahnke sowie der Kasseler Bodenspezialist Professor Dr. Wolf im Oktober 1990 mit der Bestandsaufnahme und partizipativen Planung beginnen. Die jeweiligen Verantwortlichen der HSS, insbesondere der unermüdliche Jürgen Wilke, sorgten umsichtig für den organisatorischen Begleitschutz und das unverzichtbare chinesische Netzwerk. Schon 1994 machte der fachlich verantwortliche Projektleiter Dr. Magel (heute sogar Ehrenbürger von Nanzhanglou) aufgrund der positiven Erfahrungen der bayerischen Schulen der Dorf- und Landentwicklung den Vorschlag zur Gründung eines chinesischen Trainingszentrums für Fachleute und Bürger von Dorf- und Flurbereinigungsverfahren. Zehn Jahre später konnten Vizeminister Lu Xinshe und Dr. Peter Witterauf, Hauptgeschäftsführer der HSS, das chinesische Äquivalent, das Chinesisch-Deutsche Bildungs- und Forschungszentrum für Flurneuordnung und Landentwicklung (BFL) in Qingzhou, einweihen. Heute ist es nicht nur ein vom Pekinger Ministerium für Land und Ressourcen (MLR) anerkannter, viel frequentierter Aus- und Fortbildungsplatz und Seminarort für ganz China geworden, sondern auch Dienstsitz des Vertreters der HSS für ländliche Entwicklung, Dr. Michael Klaus. 

Nanzhanglou heute

Weit über 1.000 Delegationen haben Nanzhanglou schon besucht

Nanzhanglou liegt nur 30 Autominuten vom BFL entfernt und ist damit in idealer Weise unmittelbarer Anschauungs- und Lernort für die Seminarteilnehmer. Weit über 1.000 Delegationen, selbst von der Hochschule des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas in Peking, sowie bayerische Spitzenpolitiker und Mitglieder der Bayerischen Eliteakademie haben den Erfolg von Nanzhanglou inzwischen vor Ort studiert: Er liegt darin, dass durch die frühzeitige planerische Vorwegnahme des Strukturwandels in der Landwirtschaft (heute sind weniger als 50 Prozent in diesem Sektor beschäftigt) und durch Aufbau von außerlandwirtschaftlichen Arbeitsplätzen im produzierenden und Dienstleistungsbereich, unterstützt durch konsequente Bildungsmaßnahmen und durch bauliche und infrastrukturelle Verbesserung der Lebensqualität, kein Bevölkerungsrückgang erfolgt ist. Im Gegenteil: Das Dorf hat jetzt mehr Einwohner als vor 25 Jahren und wächst konsequent in eine zentralörtliche Funktion für die Nachbarkommunen hinein. Die logische Konsequenz und der oft geäußerte Wunsch der beteiligten chinesischen Stellen an die HSS und bayerische Landentwicklungsexperten: Start einer Integrierten Ländlichen Entwicklung für circa 20 Kommunen nach bayerischem Vorbild. 

HSS Vorsitzende und Minister kamen zum Feiern

Es durfte also mit Recht gefeiert werden, als im September 2015 die Vorsitzende der HSS Prof. Ursula Männle in Begleitung des langjährigen Bayerischen Landwirtschaftsministers Josef Miller nach Qingzhou und Nanzhanglou reiste und zusammen mit hohen chinesischen Politikern, insbesondere mit dem Vizeminister des MLR Wang Shiyuan, im Rahmen einer chinaweiten Konferenz über Flurbereinigung und ländliche Entwicklung das stolze Jubiläum feierte.

Franz Josef Strauß hätte sicher seine wahre Freude daran… 

Autor: Prof. Dr. Holger Magel