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Die deutsch-chinesischen Beziehungen vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie
Jahresabschlussversammlung 2020 der Pekinger Altstipendiaten

Die gesellschaftliche Realität in China ist komplexer als sie von großen Teilen der deutschen Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Chinaexperte Frank Sieren sprach sich im Austausch mit HSS-Altstipendiaten Anfang Dezember 2020 für ein ganzheitlicheres Chinabild aus.

 

Shi Mingde, Präsident der Chinesisch-Deutschen Freundschaftsgesellschaft, war über viele Jahre als chinesischer Botschafter in Deutschland tätig. Aus eigener Erfahrung berichtete er über die langjährige strategische Partnerschaft und erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen China und Deutschland. Zwar machte er eine sich in jüngster Zeit zunehmend verschlechternde Wahrnehmung Chinas in Deutschland aus, jedoch sei die Realität der deutsch-chinesischen Beziehungen besser als ihr Ruf. Sowohl Deutschland als auch China nehmen eine entscheidende Rolle auf ihrem jeweiligen Kontinent ein und leisten damit einen besonderen Beitrag zur Wahrung der globalen Sicherheit. Gerade angesichts der unabsehbaren weiteren Entwicklung der USA spielen die Beziehungen zwischen Deutschland und China eine ganz wichtige Rolle. Beide Länder können von der Zusammenarbeit profitieren, insbesondere in den Bereichen Wirtschaft und Handel. Angesichts der Erfolge in der Pandemiebekämpfung sei China zudem zurecht stolz auf sein politisches System.

Das sich verändernde Chinabild in Deutschland im Laufe der Jahre

Frank Sieren, einer der renommiertesten deutschen Chinaexperten, sprach über die deutsch-chinesischen Beziehungen im Kontext der Corona-Pandemie. Hierbei skizzierte er die Veränderungen in der Wahrnehmung Chinas im Westen und ging den Ursachen des sich in den letzten Jahren kontinuierlich verschlechternden Chinabildes in Deutschland nach. Chinas Rolle in der Welt hat sich seit dem Amtsantritt von Präsident Xi Jinping zunehmend gewandelt. Mit der rasanten Zunahme der wirtschaftlichen und politischen Bedeutung des Landes veränderte sich aber auch die Wahrnehmung Chinas im Westen. Die Entwicklung und der Aufstieg werden mit gemischten Gefühlen wahrgenommen und China wird zunehmend als Konkurrent und sogar systemischer Rivale angesehen. 

Zu diesen Einschätzungen trägt häufig fehlendes Wissen über China bei, welches man vornehmlich aus den Medienberichten generiert. Diesen Medien fehlt jedoch häufig ein umfassendes Verständnis über Chinas Entwicklung, was dazu führt, dass der Chinadiskurs nicht immer sachgerecht geführt und die Entwicklungen häufig verkürzt und einseitig dargestellt werden. Im Westen existiert angesichts des scheinbar unaufhaltsamen Aufstiegs Chinas daher eine reale Angst vor dem eigenen Abstieg und vor einem Ende der alten Weltordnung mit den westlichen Staaten als ordnungspolitische Gestaltungsmächte. Die westlichen Industrieländer nehmen den Aufstieg Chinas zur Weltmacht als Bedrohung wahr, da dieser mit einer Relativierung des eigenen weltpolitischen Einflusses einhergeht. Sierens historische Verweise auf den Aufstieg des Deutschen Reiches im 19. Jahrhundert und ähnlicher Bedenken seitens Großbritanniens zeigen allerdings, dass es auch Zeit braucht, um sich an Veränderungen anzupassen, schließlich hat sich auch das einstige Mangelzertifikat „Made in Germany“ mittlerweile zu einem Qualitätssiegel erster Güte entwickelt. Chinas Anspruch auf Weltmachtstatus unterschiedet sich im Gegensatz zu den Bemühungen Deutschlands als verspätete Nation einen Platz an der Sonne einzunehmen insofern, als Chinas Streben darauf abzielt, die angestammte Stellung in der Welt von vor den Opiumkriegen (Mitte des 19. Jahrhunderts) zurückzugewinnen. Angesichts der sich im Rahmen der fortschreitenden Globalisierung im zunehmenden Tempo verändernden Welt hat gerade die Corona-Pandemie auch die Notwendigkeit eines konstruktiven Dialogs mit China gezeigt, denn eine Vielzahl globaler Herausforderungen lassen sich nur gemeinsam mit China lösen.

Die anschließende Frage- und Diskussionsrunde bot den anwesenden Altstipendiat*innen die Gelegenheit, Fragen an die Referenten zu stellen. Auf die Frage, inwiefern die Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen in den USA die Beziehungen zu Deutschland und der EU beeinflussen, verwies Sieren darauf, dass die Europäer versuchen werden, die Abhängigkeit von den USA auch unter dem neuen Präsidenten Joe Biden zu reduzieren. Ob die sozialen Medien weniger glaubwürdig sind als traditionelle Medien lässt sich laut Sieren nicht pauschal beantworten. Er empfahl stattdessen, nicht nach der Art der Medien zu unterscheiden. In Deutschland gewinnen soziale Medien zunehmend an Bedeutung und konkurrieren mit traditionellen Medien, wobei sie ihre Vorteile ausspielen, Nachrichten schneller und unabhängiger zu verbreiten.

Gerade in Zeiten von Corona und eingeschränkten Möglichkeiten des fachlichen Austausches bot die Zusammenkunft den Altstipendiat*innen eine gewinnbringende Möglichkeit zur Diskussion aktueller Entwicklungen in Deutschland und China. Für 2021 wurde der bereits für 2020 geplante und aufgrund der Pandemie verschobene Besuch des HSS-Projektes in der strukturschwachen westchinesischen Provinz Gansu angekündigt, deren Arbeit mit Schwerpunkt beruflicher Bildung einen nachhaltigen Beitrag zur Entwicklung Westchinas leistet.

 

Verfasser: Alexander Birle