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Delegation des Allchinesischen Frauenverbands in Deutschland
Geschlechtergleichstellung und Stärkung der wirtschaftlichen Stellung von Frauen

Geschlechtergleichstellung bedeutet gleiche Rechte und Pflichten für Männer und Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen. Sie kann zu Armutsminderung und Verteilungsgerechtigkeit beitragen und so eine wichtige Rolle für Wohlstand und Entwicklung spielen.

Seit der ersten UN-Weltfrauenkonferenz in Mexiko im Jahr 1975 erzielte die internationale Arbeit zum Schutz der Frauenrechte in über 40 Jahren sichtbare Erfolge. Geschlechtergleichstellung und die Stärkung der wirtschaftlichen Stellung von Frauen sind längst internationaler Konsens, zu dessen Umsetzung sich Regierungen und Organisationen überall auf der Welt seit langem einsetzen. Dennoch besteht Geschlechterungleichheit fort. Weltweit liegen die Einkommen von Frauen durchschnittlich 23 Prozent niedriger als bei Männern. Zu Hause und in der Nachbarschaft leisten Frauen zweieinhalbmal so viel unentgeltliche Pflege-, Erziehungs- und Hausarbeit wie Männer, ohne eine entsprechende Anerkennung dafür zu erhalten.

Viele Frauen gehen gering bezahlten Tätigkeiten nach. Sowohl in der Familie als auch im Beruf sind sie immer wieder Gewalt und Belästigung ausgesetzt. Geschlechtergleichstellung und die Stärkung der wirtschaftlichen Stellung der Frau betreffen grundlegende Menschenrechte. Immer mehr Indikatoren beweisen, dass der Grad der Geschlechterungleichheit mit der wirtschaftlichen Entwicklung, dem Wachstum des Volkseinkommens sowie der Konkurrenzfähigkeit eines Landes in engem Zusammenhang steht. Hätte jede Frau die Möglichkeit, eine würdevolle, bezahlte Arbeit aufzunehmen und gäbe es noch mehr weibliche Unternehmerinnen, so könnte nicht nur die wirtschaftliche Situation der Frauen verbessert werden, sondern auch die Erreichung weltweiter Ziele der Armutsbekämpfung und der nachhaltigen Entwicklung würde näher rücken.

Eine Stärkung der Rolle von Frauen, die Schritt hält mit der sozioökonomischen Entwicklung, rückt immer mehr in den öffentlichen Fokus. Vor diesem Hintergrund führte Frau Dr. Tan Lin, Vizepräsidentin des Allchinesischen Frauenverbands (ACFV), vom 3. bis zum 7. Dezember 2018 eine fünfköpfige Delegation nach München und Berlin. Organisiert vom Pekinger Repräsentanzbüro der Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) trat die Delegation in einen konstruktiven Austausch und diskutierte mit deutschen Regierungsstellen und zivilgesellschaftlichen Organisationen das Thema „Geschlechtergleichstellung und Stärkung der wirtschaftlichen Stellung von Frauen“.

Delegationsleiterin Dr. Tan Lin, Vizepräsidentin des Allchinesischen Frauenverbands, im Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration

Gesetze und staatliche Förderung zur Stärkung der Rolle von Frauen

Zum Auftakt besuchte die Delegation das Bayerische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales, wo sie durch einen Vortrag von Referentin Yanina Bloch über das neue „Entgelttransparenzgesetz“ einen Einblick in rechtliche Rahmenbedingungen zur Erreichung der Geschlechtergleichstellung in Deutschland erhielt. Das am 6. Juli 2017 in Kraft getretene Gesetz zielt auf die Überwindung des bestehenden Gender Pay Gaps ab. Auf Grundlage der Empfehlung der Europäischen Kommission vom 7. März 2014 „zur  Stärkung  des  Grundsatzes  des  gleichen  Entgelts  für  Frauen  und  Männer  durch  Transparenz“ ist das deutsche Entgelttransparenzgesetz ein weiterer Schritt zur Gewährleistung des Prinzips „gleiches Geld für gleiche Arbeit“. Im Zentrum des neuen Gesetzes steht ein Auskunftsanspruch des Arbeitnehmers bezüglich seiner Entgeltbedingungen. Außerdem verpflichtet das Gesetz bestimmte Unternehmen, Berichte zur Entgeltgleichheit von Frauen und Männern zu erstellen, Mechanismen zur Gewährleistung von Entgeltgleichheit zu errichten und sich entsprechenden Prüfungen zu unterziehen.

Zusammenspiel von staatlichen und gesellschaftlichen Akteuren

Im Anschluss stand die Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern auf dem Programm. Mit Julia Gschrey von der Servicestelle Familienpakt Bayern und Dr. Bettina Wenzel, Geschäftsführerin der Gründer Regio M e. V., wurde diskutiert, wie betriebliches Familienbewusstsein gestärkt und wie Frauen bei der Unternehmensgründung gefördert werden können.

Zur Erreichung einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie zur Verbesserung des Klimas am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft gründeten die Bayerische Staatsregierung, die Industrie- und Handelskammern in Bayern, die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft und der Bayerische Handwerkstag gemeinsam die Servicestelle Familienpakt Bayern.

Die Gründung der Servicestelle ist Ergebnis einer erfolgreichen Zusammenarbeit zwischen Bayerischer Staatsregierung und bayerischer Wirtschaft. Als Austausch- und Informationsplattform hilft die Servicestelle seit 2015 Unternehmen dabei, eine familienfreundliche Personalpolitik umzusetzen, um ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu ermöglichen.

Julia Gschrey von der Servicestelle Familienpakt Bayern setzt sich für familienfreundliche Arbeitsbedingungen ein

Zufriedene Angestellte sind, so Gschrey, produktiver und ermöglichen den Unternehmen somit eine größere Wertschöpfung. Unternehmen können ortsungebundene, flexible Arbeitszeiten anbieten. Beispielsweise können durch Heimarbeit so geeignete Möglichkeiten zur Kinderbetreuung geschaffen werden.

Außerdem können Arbeitgeber selbst unterstützende Regelungen treffen. Wirtschaftliche Anreize können Unternehmen durch die Zahlung von Erziehungszuschüssen leisten. Zur Stärkung der Familienfreundlichkeit kann angeregt werden, nach Dienstschluss keine Arbeitssitzungen mehr abzuhalten.

Das Familienklima eines Unternehmens hängt von den verschiedensten Faktoren ab. Vor dem Hintergrund des derzeitigen Fachkräftemangels und des demografischen Wandels in Deutschland ist eine Verständigung zwischen Unternehmen und Angestellten von größter Bedeutung. Nur wenn Arbeitgeber mit ihren Mitarbeitern in einen Dialog über das Gleichgewicht zwischen Arbeit und Familie treten, kann im Unternehmen ein gesundes Familienbewusstsein entstehen. Nur so können Mitarbeiter gebunden, Personalkosten gesenkt, Initiative gestärkt und schließlich Produktivität gesteigert werden.

Die Praxis zeigt, dass es Unternehmen mit einem hohen Grad an Geschlechtergerechtigkeit eher gelingt, weibliche Fachkräfte zu gewinnen, zu halten und zu Höchstleistungen zu motivieren. Ebenso verstehen diese Unternehmen es besser, auf die Bedürfnisse weiblicher Kunden einzugehen. Außerdem sind sie effektiver darin, unterschiedliche Meinungen einzuholen und komplexe Probleme zu lösen.

Auch Delegationsleiterin Tan zeigte sich überzeugt, dass Unternehmen am Ende selbst von einem familienfreundlichen Arbeitsklima profitieren. Der ACFV werde chinesische Unternehmen anregen, noch intensiver mit wirtschaftlichen Vereinigungen und Handelskammern zusammenzuarbeiten, um gemeinsam eine Kultur der Familienfreundlichkeit zu schaffen.

Zivilgesellschaftliche Initiativen zur Frauenförderung

Dr. Bettina Wenzel vom Verein Gründer Regio M stellte im Anschluss das in ihrer Zuständigkeit liegende Projekt „guide“ vor, das Unternehmensgründerinnen in der Region beratend zur Seite steht. 

Der 1998 gegründete, gemeinnützige eingetragene Verein Gründer Regio M ist eine Initiative der Wissenschafts- und Wirtschaftsregion München zur Förderung von hochschulnahen Unternehmensgründungen. Unter seinen 35 Mitgliedern befinden sich Hochschulen, die IHK München und Oberbayern, die Handwerkskammer für München und Oberbayern, das Referat für Arbeit und Wirtschaft der Landeshauptstadt München, der Sparkassenverband Bayern sowie Technologie- und Gründerzentren.

Der Verein verfügt im Wirtschaftsraum München über ein starkes Netzwerk.

Seit 2003 steht die Beratung von Unternehmerinnen im Zentrum der Arbeit des Projekts guide. Hauptzielgruppe sind Frauen, die nach einer beruflichen Auszeit aufgrund von Kindererziehung oder Angehörigenpflege, bzw. nach Krankheit oder Langzeitarbeitslosigkeit einen Weg zurück in den Arbeitsmarkt suchen. Oft handelt es sich dabei um Akademikerinnen mittleren bis höheren Alters, die freiberuflich, in Teilzeit oder selbstständig tätig werden wollen. In Formaten wie Seminaren und Schulungen wird Fachwissen an Gründerinnen und Wiedereinsteigerinnen vermittelt, die so Unterstützung in der Präzisierung und Ausarbeitung ihrer Geschäftsideen sowie ein ehrliches Feedback zu ihren Gründungsvorhaben erhalten. Außerdem behandeln die Schulungen die Gestaltung von Geschäfts- und Finanzplänen und vermitteln weitere Kernkompetenzen. Die Bildungshintergründe der fünf Beraterinnen sowie ihrer Projektassistentin reichen von Bankwesen über Psychologie bis hin zu Designstudien. Fünf der insgesamt sechs Mitarbeiterinnen arbeiten halbtags. Jährlich beraten sie 300 bis 350 Kundinnen und Kunden, von denen 98 Prozent weiblich sind. Über 90 Prozent der Frauen, die Beratungen oder Fortbildungen in Anspruch nehmen, gelingt schließlich ihr Gründungsvorhaben, beziehungsweise der Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt. Gründungskredite vergeben die LfA Förderbank München, die Kreditanstalt für Wiederaufbau sowie ein Kreditprogramm des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.

Vortrag der Germeringer Unternehmerin Sandra Pabst

Die hochprofessionelle Unterstützung, die das Projekt guide den Gründerinnen zur Verfügung stellt, eröffnete der Delegation, so Tan, zahlreiche neue Perspektiven. In China haben die vielen Millionen Frauen im ländlichen Raum insgesamt eine deutlich niedrigere sozioökonomische Stellung als ihre urbanen Geschlechtsgenossinnen. Der ACFV unterhält vergleichbare Programme zur Unterstützung von Unternehmensgründerinnen und auch hier, so Tan weiter, spielen Beraterinnen eine ganz entscheidende Rolle.

Am Folgetag nahm die Delegation in der HSS an einem Runden Tisch zum Thema „Aufbrechen von traditionellen Rollenmustern in Deutschland und China zur Stärkung der wirtschaftlichen Stellung der Frau“ teil. Dabei traten sie in einen Austausch mit Professorin Ursula Männle, Vorsitzende der HSS, Dr. Susanne Luther, Abteilungsleiterin des Instituts für Internationale Zusammenarbeit der HSS sowie Barbara Lanzinger, MdB.

Angeregt diskutiert wurde die Frage, wie China und Deutschland durch Wirtschaftspolitik und rechtliche Reformen ein besseres gesellschaftliches Umfeld schaffen können, um Hürden zur Stärkung der wirtschaftlichen Stellung von Frauen abzubauen. Dabei wurden einige konkrete Vorschläge zur Förderung einer umfassenden wirtschaftlichen Teilhabe formuliert. Beispielsweise sollte angeregt werden, dass beide Geschlechter sich gemeinsam in der unentgeltlichen Pflege von Angehörigen engagieren. Weiterhin sollten Frauen erforderliche Finanzdienstleistungen sowie neue technologische Anwendungen verfügbar gemacht werden. Schließlich muss das teils immer noch vorhandene geschlechterdiskriminierende Arbeitsklima in der Privatwirtschaft wie im öffentlichen Sektor überwunden werden.

Das Berliner „Bildungs- und Beratungszentrum Raupe und Schmetterling“ berät arbeitssuchende Frauen beim Wiedereinstieg in Arbeitsmarkt und in beruflichen Übergangssituationen und unterstützt ältere Frauen bei der Arbeitssuche. Im direkten persönlichen Gespräch oder per Telefon erhalten Frauen hier Beratung und Entscheidungshilfe bezüglich beruflicher Orientierung, beruflichem Wiedereinstieg, Weiterbildung sowie Informationen zum Arbeits- und Sozialrecht. Außerdem organisiert das Beratungszentrum regelmäßig Informationsveranstaltungen zu Fragen des Arbeitsmarkts. Bei Bedarf erhalten Frauen Beratung zur Finanzplanung in Phasen der Arbeitslosigkeit sowie zu rechtlichen Fragen einer möglichen Selbständigkeit oder Arbeitslosigkeit.

Delegation mit Wolfgang Andre, zweiter Bürgermeister der Stadt Germering

Deutschlands größte Frauenlobby: Der Deutsche Frauenrat

Ebenfalls in Berlin besuchte die Delegation den Deutschen Frauenrat, die größte Lobbyorganisation für Frauen in Deutschland. Der Dachverband aus 60 deutschen Frauenorganisationen hat 12 Millionen Mitglieder und ist somit Deutschlands größte Interessenvertretung für Frauen und Geschlechtergerechtigkeit. Als eingetragener Verein vertritt er Frauen in den Bereichen Beruf, Gesellschaft und Frauenrechtspolitik. Seine Mitglieder stammen aus Gewerkschaften, Kirchen, Sport, Kultur, Medien und Wirtschaft. Sie setzen sich für eine Stärkung der Frauenrechte in Deutschland sowie auf EU- und UN-Ebene ein. Ziel ist die Erreichung von Geschlechtergerechtigkeit in allen Lebensbereichen, auf rechtlicher und praktischer Ebene. Der Frauenrat tritt ein für einen demokratischen Wandel der Geschlechterverhältnisse und die Schaffung einer lebenswerten Welt für alle Menschen.

Susanne Kahl-Passoth, stellvertretende Vorsitzende des Frauenrats, stellte der Delegation einige grundlegende Informationen vor. In Deutschland beträgt die Frauenerwerbstätigkeitsquote 75 Prozent, bei den Männern sind es 80 Prozent. In den letzten 20 Jahren erhöhte sich die Arbeitszeit von Frauen langsam aber stetig. Aufgrund von Kindererziehung und Pflege älterer Familienmitglieder sind jedoch 40 Prozent der Frauen nur halbtags tätig und viele arbeiten im Niedriglohnsektor.

Vor diesem Hintergrund verankerte der Gesetzgeber das Recht auf einen Kindergartenplatz, Elterngeld in Höhe von 65 Prozent des monatlichen Nettoeinkommens - bis zu maximal 1800 Euro - und eine Reihe weiterer Maßnahmen zur Förderung von Erwerbstätigkeit sowie zur Stärkung der wirtschaftlichen Stellung von Frauen. Auf dem „Girls'Day – Mädchen-Zukunftstag“ werden interessierten Mädchen Wege in technische Berufe aufgezeigt. Gleichzeitig unterhält der Frauenrat auch einige Projekte, in denen das Engagement von Jungen und Männern in Sozialberufen gefördert wird.

Die Förderung von Geschlechtergleichstellung ist internationaler Konsens und braucht globales Engagement. In China wurde die Gleichberechtigung von Mann und Frau im Jahr 1954 grundgesetzlich verankert. Auf dem 18. Partietag im November 2012 wurde die Gleichberechtigung erstmals als grundlegende staatliche Politik in einen wichtigen politischen Bericht aufgenommen, um Frauen zu noch mehr politischer Beteiligung anzuregen. Zwar lassen sich zahlreiche Unterschiede zwischen deutschen und chinesischen Herausforderungen und Lösungsansätzen ausmachen, doch beide Länder haben die Handlungserfordernisse erkannt und werden aktiv.

Die Delegationsreise ermöglichte dem ACFV Einblicke in aktive Maßnahmen und Fortschritte Deutschlands zur Förderung von Geschlechtergerechtigkeit. Der Austausch stärkte das gegenseitige Verständnis zwischen Deutschland und China bezüglich des Schutzes von Frauenrechten. Die Erfahrungen können als wertvolles Anschauungsbeispiel für die praktische Arbeit zur Förderung von Geschlechtergerechtigkeit in China dienen.

Autorin:           Jia Jingjing

Übersetzer:     Dominik Sprenger