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Bayerische Politikerinnen-Delegation zu Gast in China
Fortbildungskurse sollen Frauen aus der Armut befreien

Was tut China zur Förderung sozial benachteiligter Frauen? Ein von der HSS geförderter Ansatz sind Fortbildungen im Bereich familienorientierte Dienstleistungen, die vor allem Frauen in strukturschwachen Regionen mehr wirtschaftliche und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen.

Gansu ist eine der ärmsten Provinzen Chinas

Vom 10. bis 14. September 2017 leitete Frau Professorin Ursula Männle eine Delegation auf Einladung des All-Chinesischen Frauenverbands (ACFV). Gemeinsam mit der Bundestagsabgeordneten Barbara Lanzinger, den bayerischen Landtagsabgeordneten Dr. Ute Eiling-Hütig und Carolina Trautner sowie der Kreisrätin Ute Nicolaisen-März informierte sich die Vorsitzende der Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) in Peking und in der Provinz Gansu über berufliche Fördermaßnahmen für Frauen im Bereich familienorientierte Dienstleistungen.

HSS-Vorsitzende Männle auf Tuchfühlung mit der lokalen Bevölkerung

Geschlechtergerechtigkeit und Beschäftigungsförderung in Deutschland

Zunächst besichtigte die Delegation in Peking einen Modellbetrieb für Ausbildung und Dienstleistung in den Bereichen Kindererziehung, Haushalt und Pflege, der durch seinen integrierten Ansatz gerade Niedrigqualifizierten wertvolle Chancen zum sozialen Aufstieg bietet.
An einen Rundgang durch die verschiedenen Abteilungen schloss sich ein Fachsymposium unter Teilnahme von Vertreterinnen des Frauenverbands an, welches Männle mit einem einleitenden Vortrag zur gesellschaftlichen Stellung der Frau und zur Rolle familienorientierter Dienstleitungen in Deutschland eröffnete.

Männle und Song Xiuyan, Vizepräsidentin des Frauenverbandes, im Gespräch über künftige Zusammenarbeit

Seit dem frühen 20. Jahrhundert, so Männle, setzen sich in Deutschland Frauenverbände für mehr Geschlechtergerechtigkeit ein, wobei Ausbildungsförderung von Beginn an als wichtiges Instrument zur Ermöglichung gesellschaftlicher Teilhabe und sozialen Aufstiegs diente. Familienorientierte Dienstleistungen jedoch galten in Deutschland lange Zeit als einfache Hilfstätigkeiten und boten kaum Verdienstmöglichkeiten. Erst als im Zuge des demografischen und gesellschaftlichen Wandels eine verstärkte politische Förderung in diesem Bereich eintrat, nahmen Professionalisierungsgrad und gesellschaftliches Ansehen deutlich zu. Schließlich konnten so nicht nur neue Arbeitsplätze geschaffen werden, sondern auch Frauen in anderen Berufsfeldern wurden durch die entstandenen Angebote entlastet, was zu einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf beitrug.

Li Xiaoxing, Leiterin des Europareferats des Frauenverbands, stellte im Anschluss die Arbeit ihrer Organisation im Bereich haushaltsorientierte Dienstleistungen und Beschäftigungsförderung vor, die von der Unterstützung für lokale Basisorganisationen bis hin zur Politikberatung auf höchster Ebene reicht. Da aktuelle Prognosen besagen, dass die Zahl der über 60-Jährigen in China von 13% der Bevölkerung im Jahr 2010 auf rund ein Drittel im Jahr 2050 ansteigen wird, müssen gerade im Bereich der Altenpflege größte Anstrengungen unternommen werden.
Schließlich referierten noch Barbara Lanzinger und Dr. Ute Eiling-Hütig über staatliche Fördermaßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Deutschland. So erreichte der Freistaat Bayern unter anderem durch eine starke Förderung der Betreuung im frühkindlichen Bereich die höchste Frauenerwerbstätigkeitsquote aller deutschen Bundesländer. In der bayerischen Verwaltung sind heute sogar mehr Frauen beschäftigt als Männer, wodurch gerade im ländlichen Raum ein wichtiger Beitrag zur Geschlechtergerechtigkeit geleistet wird.

Langjährige Frauenförderung im strukturschwachen Westen

Song Xiuyan, Vizepräsidentin des ACFV und ehemalige Gouverneurin der Provinz Qinghai, lobte im Gespräch mit Männle die langjährige zielorientierte Zusammenarbeit mit der HSS und hob ein im Zeitraum zwischen 2003 und 2016 gemeinsam durchgeführtes Mikrokreditprojekt hervor, in dessen Verlauf durch Vergabe zinsfreier Kredite in der strukturschwachen Westprovinz Qinghai 390 Frauen bei der Existenzgründung unterstützt werden konnten.

Die Delegation besuchte ein Vorzeigeprojekt zur Förderung des lokalen Kunsthandwerks

Am 13. September besuchte die Delegation die Kreisstadt Xihe in Gansu, der Provinz mit dem geringsten jährlichen Pro-Kopf-Einkommen in ganz China. In Zusammenarbeit mit dem ACFV ermöglicht die HSS dort im Rahmen eines Modellprojekts Fortbildungsmaßnahmen für Frauen, um Armut nachhaltig zu verringern und die gesellschaftliche Stellung der Frau zu stärken. In 14-tägigen Schulungen in den Bereichen Altenpflege, Schwangeren- und Wochenbett-Betreuung sowie Haushaltswesen sollen über einen Zeitraum von drei Jahren insgesamt 225 benachteiligte Frauen eine arbeitsmarktgerechte berufliche Qualifizierung erhalten, die ihnen ermöglicht, die eigene Familie zu ernähren.

Vor Ort gibt es bisher jedoch kaum Beschäftigungsmöglichkeiten, sodass mehr als die Hälfte der im aktuellen Schulungsjahr geförderten Frauen die Region verließ, um Arbeitsstellen in den entwickelten Metropolen Ostchinas anzutreten. Die erzielten Verdienste kommen durch Unterstützungszahlungen an die daheimgeblieben Familien wiederum der Entwicklung der Heimatregion zugute.

Persönliche Erfahrungen der Projektbegünstigten

Ein persönliches Gespräch mit vier vor Ort gebliebenen Schulungsteilnehmerinnen ermöglichte der Delegation einen direkten Einblick in die Auswirkungen der Fördermaßnahmen auf das tägliche Leben der betroffenen Frauen. Diese gaben an, aus den Schulungen großen Nutzen gezogen zu haben. Ganz unmittelbar kommen die erlernten Fähigkeiten der ganzen Familie zugute, indem sie eine professionellere Betreuung der eigenen Kinder und Eltern ermöglichen.

Immerhin gut ein Drittel der vor Ort gebliebenen Frauen fand eine Beschäftigung und schaffte sich so eine solide Verdienstgrundlage. Schon eine Nebentätigkeit auf Stundenbasis in der Säuglingspflege kann einen wichtigen Beitrag zur Grundsicherung leisten, sodass die Frauen nicht mehr gezwungen sind, aus finanziellen Gründen ihre Heimat zu verlassen, was fast immer mit großen persönlichen Entbehrungen einhergeht.

So berichtete eine Schulungsteilnehmerin kritisch über ihre Erfahrungen als einstige Wanderarbeiterin in Peking und Shanghai. Neben den eigenen Eltern musste sie auch ihren Sohn zu Hause zurücklassen, da Kindern von Arbeitsmigranten in den Großstädten Ostchinas häufig kein gleichwertiger Bildungszugang ermöglicht wird. Trotz eines verhältnismäßig guten Verdienstes kehrte die Frau schließlich zur ihrer Familie zurück und versucht nun durch die Fortbildungskurse von Frauenverband und HSS vor Ort eine Beschäftigung im Bereich familienorientierte Dienstleistungen zu finden.
Da gerade die Stärkung lokaler Strukturen ein zentrales Anliegen der HSS ist, soll künftig noch stärker darauf geachtet werden, „die Arbeit zu den Menschen bringen“, so Männle, um ihnen den Verbleib in der Heimat zu ermöglichen.

Die Begehung des Dorfes Baoji brachte viele neue Eindrücke

Im Rahmen eines weiteren Termins besuchten die Delegationsteilnehmerinnen das nahegelegene Dorf Baoji, wo sie sich über die Förderung handwerklicher Fertigkeiten von Frauen in einer vom Kunsthandwerk geprägten Region informierten. Auch hier sollen die begünstigten Frauen in die Lage versetzt werden, ein zusätzliches Einkommen neben der Arbeit in der Landwirtschaft zu erzielen.

Die vielfältigen Anstrengungen, die für das strukturell benachteiligte Gebiet Xihe unternommen wurden, stehen in Einklang mit den anspruchsvollen Zielen der chinesischen Regierung, bis 2020 die absolute Armut vollständig zu beseitigen. Bislang leben chinaweit noch rund 40 Mio. Menschen unterhalb der offiziellen Armutsgrenze, davon die Hälfte Frauen.


Autor: Dominik Sprenger