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The Age of Asia: China India Dialogue
„Familienfreundliche Politik zur Lösung globaler Herausforderungen bei der Gleichstellung der Geschlechter“

Am 11. Juli 2022 organisierte die Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) mit dem Partner All -Chinesischen Frauenverband als Teil der „The Age of Asia“-Reihe online den fünften China-India-Dialogue. Dieses Mal ging es darum, wie China und Indien versuchen, die Gleichstellung von Mann und Frau in ihrer Gesellschaft zu fördern. Frau Dr. Ranjana Kumari gab dafür Einblicke in die Maßnahmen in Indien, während Prof. Juhua Yang die Bemühungen in China schilderte. Im Ergebnis wurde klar, dass beide Länder in den letzten Jahren zwar beträchtliche Fortschritte erzielen konnten, es jedoch noch weiterer Bemühungen bedarf, um die in vielen Bereichen weiterhin existierende Schlechterstellung von Frauen zu beheben.

Zusammen mit dem All -Chinesischen Frauenverband, dem HSS-Büro in Neu-Delhi, Indien, und der Stiftungszentrale in München organisiert die Pekinger HSS-Vertretung wie bereits im letzten Jahr auch in diesem Jahr wieder die mehrteilige englisch-sprachige Diskussionsreihe „Talking Asia Politics: The Age of Asia - China & India Dialogue”. In diesem Rahmen wurden am 11. Juli 2022 Frau Prof. Juhua Yang (Professorin und Doktorandenbetreuerin an der Fakultät für Soziologie an der Minzu University of China und stellvertretende Direktorin der Abteilung für Familien- und Kinderangelegenheiten des Allchinesischen Frauenverbandes) und Frau Dr. Ranjana Kumari (Direktorin des Centre for Social Research) eingeladen, um unter der Leitung von Moderatorin Julia Berghofer (Policy Fellow, European Leadership Network) gemeinsam über das Thema „Family-friendly policies to cope with global gender challenges” zu diskutieren.

Indien: Rahmenbedingungen weiter stärken

In Ihrem Eingangsvortrag machte Dr. Kumari klar, dass in Indien noch stärker die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen, d.h. sichere Arbeitsbedingungen und gleiche Anerkennung der gleichen Arbeit. Zu diesem Ziel werden in Indien hauptsächlich drei Arten von politischen Maßnahmen durchgeführt: zeit-betreffende (Mutter- oder Vaterschaftsurlaub), service-betreffende (Kinderbetreuung) und finanzielle Unterstützung (Kindergeld o.ä.). Das Ziel dieses Vorgehens ist es, eine Art „doppelte Förderung“ zu schaffen: den Zugang von Frauen zu guter Arbeit erleichtern und gleichzeitig auch bislang unbezahlte Arbeit aufzuwerten. Der landesweite „Familiy Health Survey“ für den Zeitraum 2019-2020 zeigte bereits einige vielversprechende Ergebnisse. So haben fast 90 Prozent der Frauen Mitspracherecht bei Entscheidungen in ihrem Haushalt und fast 80 Prozent verfügen über ein eigenes Bankkonto. Allerdings bleibt weiter festzustellen, dass fast ein Drittel der Frauen in Indien noch vor 18 verheiratet wird. Die COVID-19-Pandemie führte zudem zu einigen deutlichen Rückschritten: So geht UNICEF bis zum Jahr 2030 sogar mit einem Anstieg der Zwangsheiraten aus. Auch Fälle häuslicher Gewalt stiegen im ersten Jahr der Pandemie deutlich an. Hinzu kommt, dass als Folge der wirtschaftlichen Schäden viel mehr Frauen als Männer ihren Arbeitsplatz verloren haben. Laut Dr. Kumari wurden die Fortschritte bei der Einstellung von Frauen durch das Virus somit um ein bis zwei Jahre zurückgeworfen.

Anschließend kam Dr. Kumari auf die rechtlichen Rahmenbedingungen zu sprechen. Hier wurden in den letzten Jahrzehnten einige wichtige Gesetzte verabschiedet, wie zum Beispiel der „Equal Remuneratio Act“ (1976), der „Minimum Wages Act“ (1948) oder der „Medical Termination of Pregnancy Act“ (1971). Im Gesundheitsbereich wurden zudem diverse sog. „Schemes“ geschaffen, die den gerechten und bezahlbaren Zugang zu Gesundheitsservices ermöglichen sollen.

Abschließend erwähnte Dr. Kumari jedoch auch noch die Herausforderungen, die weiterhin für die Geschlechtergleichstellung bestehen. Als wichtigstes Hindernis nennt sie die politische Ebene: nur 22,6 Prozent der Ministerposten weltweit werden von Frauen gehalten. Außerdem ist es notwendig, die Pflegearbeit deutlich besser anzuerkennen, da fast 75 Prozent der weltweit geleisteten unbezahlten Pflegearbeit von Frauen verrichtet wird.

Chinas Ziel: Ein holistisches System zur Unterstützung von Familien mit Kindern

Frau Prof. Yang ging in ihrem Vortrag genauer auf die Fortschritte ein, die China in den letzten Jahren erzielt hat. Als besonders signifikante Änderung ist die Abkehr von der Ein-Kind-Politik zu nennen, mittlerweile ist es Familien erlaubt, bis zu drei Kinder zu haben. Damit antwortet Chinas Regierung auch auf den Alterungsprozess der chinesischen Gesellschaft. Genau wie in Deutschland und Indien sinkt auch in China die Fertilitätsrate in den letzten Jahren deutlich, während der Anteil der Älteren an der Gesamtbevölkerung stetig steigt. Ersteres ist auch die Folge der sich verändernden Familienstrukturen. Im Vergleich zu früher sind diese deutlich kleiner, in der Regel besteht eine Familie nur noch aus drei Mitgliedern. Zudem gibt es immer mehr Single-Haushalte.

Besorgnis erregend ist zudem, dass in China das “Gender Gap” bei der Bezalhung in den letzten drei Jahrzehnten angestiegen ist, während gleichzeitig die Erwerbstätigkeit von Frauen mit Kindern abgenommen hat.

Was tut China, um dagegen zu steuern? Mutterschaftsurlaub und Kindergeld wurden bereits kurz nach der Staatsgründung in den frühen 1950ern eingeführt. Doch vor allem in den letzten Jahren, angesichts des demografischen Wandels, ist viel getan worden. 2019 legte der Staatsrat eine Leitlinie zur stärkeren Unterstützung von Familien mit Kindern unter drei Jahren fest. Zwei Jahre später wurde ebenfalls vom Staatsrat beschlossen, ein “universelles System” zu schaffen, dass die Kosten für die Geburt und die Erziehung von Kindern reduziert. In diesem Zuge soll ein holistisches System entstehen, das alle Stakeholder mit einbezieht. Wichtige Aspekte sind dabei, ähnlich wie Dr. Kumari bereits erwähnte, die Bereiche: Finanzielle Unterstützung, Service-Unterstützung und zeitliche Unterstützung (Mutterschaftsurlaub etc.). Hinzu kommt noch die grundsätzliche Verbesserung der Rahmenbedingungen: so soll zum Beisiel Geschlechterdiskriminierung energisch bekämpft und Kinderbetreuung am Arbeitsplatz gefördert werden. Noch steht China also, genau wie Indien, vor vielen Herausforderungen. Allerdings sind mittlerweile Maßnahmen und Pläne geschaffen worden, um diese effektiv anzugehen.

Anschließende Diskussion

In der anschließenden Diskussion gingen die Expertinnen auf Grundlage von Fragen der Zuhörer noch etwas detaillierter auf einige Aspekte ein. Angesprochen auf die jüngsten Einschränkungen der Abtreibungsrechte in den USA betonte Dr. Kumari zum Beispiel, wie wichtig es sei, dass Frauen das Recht auf Selbstbestimmung haben, für alles was ihren Körper angeht. Frauen müssen selbst entscheiden dürfen, ob sie Kinder haben wollen oder nicht, ohne dass der Staat ihnen etwas vorschreibt. Mit Blick auf die sogenannten weiblichen Selbsthilfegruppen (Self Help Group) in Indien erläuterte Dr. Kumari, dass sich nach diesem Konzept Frauen in ländlichen Gegenden zusammenschließen, um mit ihren Ersparnissen und der finanziellen Unterstützung staatlicher Banken, gemeinsam eine Unternehmung zu gründen. Häufig handlt es sich dabei um landwirtschaftliche Arbeiten, grundsätzlich sind jedoch jegliche Beschäftigungsarten möglich.

Prof. Yang gab ihre Einschätzung zur sog. “doppelten Belastung”, die viele Frauen vor allem in Zeiten der COVID-19-Pandemie erleben, d.h. sie müssen sich Zuhause um ihre Kinder kümmern, gleichzeitig aber weiter – häufig mithilfe digitaler Hilfsmittel – ihrer Arbeit nachgehen.Sie zitierte dafür eine kürzlich erschienene Studie, die die Annahme, dass es Frauen durch die Arbeit von Zuhause leichter hätten, eindeutig widerlegt. Im ländlichen China ist dies besonders offensichtlich: Hier haben Untersuchungen ergeben, dass Frauen durchschnittlich drei Mal so viel häusliche Arbeiten, inkl. Kinderbetreuung, verrichten als Männer. Sie sprach sich deshalb dafür aus, dass auch Männer sich verstärkt in die Hausarbeit und Kinderbetreuung einbinden sollten. Gleichzeitig informierte sie, dass vor allem in der jüngeren Generation in China auch durchaus schon Veränderungen diesbezüglich zu beobachten sind. Trotzdem mahnte sie: Den Fortschritten auf der politischen gesetzgebenden Ebene müssen noch stärker Fortschritte in den Familien folgen. Dafür müsse noch mehr öffentliches Bewusstsein für die Geschlechtergleichstellung auch im eigenen Zuhause geschaffen werden.

 

Autor: Ole Engelhardt