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Deutsche Delegation zu familienorientierten Dienstleistungen

Gesellschaftliche Veränderungen haben Auswirkungen auf das familiäre Zusammenleben in China und Deutschland. Im November 2015 besuchten deutsche Politikerinnen die Volksrepublik, um gemeinsam Herausforderungen und Entwicklungen im Bereich familienorientierte Dienstleistungen zu diskutieren.

Im Zeitraum vom 2. bis 7. November 2015 hielt sich im Rahmen der Kooperation der Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) mit dem All-Chinesischen Frauenverband (ACFV) eine bayerische Delegation unter Leitung von Dr. Ute Eiling-Hütig, MdL, in China auf. In Peking und in der südchinesischen Provinz Guangxi informierten sich die Vertreterinnen verschiedener politischen Ebenen über familienorientierte Dienstleistungen in urbanen Zentren und ländlichen Regionen. Auch ein Symposium zu familienpolitischen Herausforderungen und Entwicklungen vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen und demografischen Wandels war Teil des Programms.

Der All-Chinesische Frauenverband: Der All-Chinesische Frauenverband ist die größte Frauenorganisation in der VR China und setzt sich für die Interessen und Rechte von Frauen und Kindern sowie für die Geschlechtergleichstellung ein. Im Vordergrund der 2003 begonnenen Kooperation mit der HSS steht die Förderung der Stellung der Frau in Beruf, Familie und Gesellschaft durch den fachlich-politischen Austausch, aber auch durch berufliche Qualifizierungsmaßnahmen und die gemeinsame Betreuung eines Mikrokreditprojektes zur Verbesserung der wirtschaftlichen Teilhabe von Frauen in Westchina.

Besuch eines Zentrums für Frauen und Kinder in Beijing

Familienorientierte Leistungen in Peking

Im Gespräch mit Meng Xiaosi, Vizepräsidentin des ACFV, zum Auftakt des Aufenthalts in Peking wurden Maßnahmen zur Verbesserung der wirtschaftlichen Teilhabe von Frauen sowie die Lockerung der chinesischen Geburtenpolitik besprochen. Eine niedrige Geburtenrate, so Eiling-Hütig, stellt für Deutschland ebenso wie für China ein Problem dar. Vielfach wird der Kinderwunsch zugunsten beruflicher Ziele zurückgestellt. Nicht nur die Kinder-, sondern auch die Altenbetreuung wird in China, dem eine rasante Überalterung der Gesellschaft droht, intensiv diskutiert, so Meng. Vor allem in ländlichen Regionen wird zurzeit daran gearbeitet, der Bevölkerung sowohl wirtschaftliche Teilhabe als auch die Betreuung von Angehörigen zu ermöglichen, etwa durch kleingewerbliche Tätigkeiten zu Hause. Um die Einkommensunterschiede in Stadt und Land zu verkleinern, werden Frauen im ländlichen Raum seitens des ACFV außerdem durch Vergabe von zinsfreien Mikrokrediten zu Existenzgründungen ermutigt.

Bei einem anschließenden Besuch eines Dienstleistungszentrums für Frauen und Kinder informierte sich die Delegation über familienorientierte Dienstleistungen in Peking, die sowohl Informations- und Beratungsleistungen als auch Fortbildungen für Frauen umfassen. Landesweit gibt es über 700.000 solcher Einrichtungen, die über Spenden, Mitgliedsbeiträge sowie Zuschüsse der lokalen Regierungen und des ACFV finanziert werden. Die Nutzung dieser Einrichtungen ist kostenfrei und ein Großteil der Mitarbeiter rekrutiert sich aus Strukturen des ACFV.

Der Besuch des vom ACFV geförderten Nationalen Museums für Frauen und Kinder Peking ermöglichte der deutschen Delegation Einblicke in den Wandel der Rolle der Frau in der chinesischen Gesellschaft. Wichtige Meilensteine auf dem Weg zur Geschlechtergleichstellung waren das 1950 als erstes Gesetz der VR China verabschiedete Ehegesetz, in dem die Ehefreiheit verankert wurde, das im selben Jahr eingeführte Landreformgesetz, mit dem Frauen im Bereich Bodenrecht Männern gleichgestellt wurden, sowie das 1953 eingeführte Wahlrecht für Frauen.  

Berufliche Qualifizierung von Haushaltshilfen und Pflegekräften in Nanning

Wachsende Nachfrage nach Gesundheitsdienstleistungen

In Nanning und Umgebung konnten sich die Delegationsteilnehmerinnen durch Besuche in vom lokalen Frauenverband geförderten Einrichtungen und Projekten ein Bild von der Umsetzung der Familienpolitik im autonomen Gebiet Guangxi machen. Ein Pflegezentrum für Wöchnerinnen und neugeborene Kinder stand dabei beispielhaft für den Ausbau von Gesundheitsdienstleistungen für Familien im ganzen Land. Dagegen stand in einem städtischen Dienstleistungszentrum für Frauen und Kinder, das berufliche Qualifizierung von Haushaltshilfen und Pflegekräften bietet, die Förderung von Frauen in der Arbeitswelt im Vordergrund. Hier wird vor allem für Migrantinnen und arbeitslose Frauen aus ländlichen Regionen eine praxisnahe Ausbildung zur Vorbereitung des Einstiegs ins Berufsleben angeboten. Im Pflege- und Haushaltsbereich besteht in China derzeit eine hohe Nachfrage, die den Frauen nach der Schulung ein überdurchschnittlich hohes Einkommen ermöglicht. In anschließenden Besuchen in einem Pilotprojekt zur Dorfentwicklung im Dorf Tanbanpo und einer Obstplantage im Dorf Liantuan konnten sich die Gäste außerdem über Fördermaßnahmen zur Entwicklung ländlicher Räume informieren. 

Förderung von Frauen im ländlichen Raum

Ein Symposium zum Thema „Frauen-und familienorientierte Dienstleistungen“ ermöglichte den deutschen Delegationsteilnehmerinnen schließlich ebenso wie den teilnehmenden Vertreterinnen und Vertretern des Frauenverbandes auf Provinz- und Stadtebene, der Partnerbehörden und Fachämter sowie Unternehmensvertreterinnen eine tiefergehende Auseinandersetzung mit aktuellen Herausforderungen und Lösungsansätzen zur Frauenförderung in Deutschland und China. 

Wu Xiaoli, erste stellvertretende Vorsitzende des Frauenverbandes Guangxi, gab zunächst einen Überblick über die Arbeit des lokalen Frauenverbandes. Der Frauenverband ist auf allen administrativen Ebenen in der Provinz vertreten, auch über Frauenausschüsse in öffentlichen Einrichtungen und Gewerkschaften, und arbeitet dabei eng mit den Behörden zusammen. Zur Veranschaulichung nannte Wu exemplarisch einige besonders erfolgreiche Maßnahmen der letzten Jahre. Dazu gehört die seit 2009 erfolgte Vergabe von zinsvergünstigten Mikrokrediten, mit der seitdem 125.000 Frauen in ländlichen Regionen die Existenzgründung und 800.000 Frauen der Weg in die Beschäftigung ermöglicht wurde. Über circa 2.000 Pilotprojekte in der Hightech-Industrie konnte erreicht werden, dass mehr als 200.000 Frauen, wiederum meist im ländlichen Raum, durch Einkommenssteigerungen der Armut entkommen konnten. Auch Rechtsschutz und Rechtsberatung sind wichtige Arbeitsfelder, in denen der Frauenverband mit Gerichten und Staatsanwaltschaften kooperiert. Um den Zugang zu rechtlichem Beistand für Frauen und Kinder zu erleichtern, wurde beispielsweise eine telefonische Informationshotline eingerichtet, außerdem stehen ehrenamtlich tätige Anwälte zur Verfügung. Ein weiteres wichtiges Arbeitsfeld ist schließlich die kostenlose Behandlung sowie finanzielle Hilfen für besonders von Armut betroffene Krebspatientinnen.

Weiterhin wurden in Dörfern, in denen besonders viele Kinder hauptsächlich von ihren Großeltern betreut werden, da ihre Eltern auf der Suche nach besseren Verdienstmöglichkeiten in die Städte abgewandert sind, vermehrt Kinderheime oder Kinderzentren durch verschiedene finanzielle Unterstützung eingerichtet. Über eine Reihe gemeinnütziger Projekte in von Armut betroffenen Gebieten wird ein Beitrag zur Verbesserung der Lebensverhältnisse von Frauen und Kindern geleistet.

Schwerpunkt ist hier auch die Entwicklung der familienorientierten Dienstleistungen. Im Fachverband „Trommelstöckchen(blume)“, in dem sich 40 Unternehmerinnen zusammengeschlossen haben, werden im Bereich familienorientierte Dienstleistungen Standards und Marken etabliert und in Pilotprojekten Fortbildungen im Pflegebereich durchgeführt. 2014 waren in dieser Sparte in Guangxi circa 480.000 Menschen beschäftigt, davon 86 Prozent Frauen.

Wie der Vertreter des Amts für Humanressourcen und Soziale Sicherung Guangxi, Tu Yongsen, erklärte, leisten Frauen als wichtiger Träger familienorientierter Dienstleistungen einen bedeutenden Beitrag zur Wirtschaft Guangxis. Zur Förderung der Beschäftigung und der Qualität der Dienstleistungen wurden Durchführungsempfehlungen und Fördermaßnahmen erarbeitet, Ausbildungseinrichtungen gefördert sowie die Standardisierung der Berufsbilder vorangebracht.

Ute Eiling-Hüting informiert über familienpolitische Leistungen in Deutschland

Steigerung der Attraktivität von Familiengründungen

Eiling-Hütig lieferte in ihrem Beitrag einen Überblick über die wichtigsten familienpolitischen Leistungen in Deutschland. Grundsätzlich können Arbeitnehmer bis zum dritten Lebensjahr des Kindes Elternzeit in Anspruch nehmen, wenn sie ihren Nachwuchs selbst betreuen und erziehen. Während der Elternzeit, die von Vater und Mutter gleichermaßen genutzt werden kann, darf der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis nicht kündigen. Zentrales Instrument zur finanziellen Unterstützung ist das Elterngeld, auf das Mütter und Väter Anspruch haben, die ihre Kinder im ersten Lebensjahr selbst betreuen und nicht mehr als 30 Wochenstunden arbeiten. Um die Attraktivität der Elternzeit für Väter zu steigern, werden zwei zusätzliche Monate gewährt, wenn sich die Partner die Elternzeit teilen. Diese sogenannten Partnermonate erfreuen sich steigender Beliebtheit und werden in Bayern von über 40 Prozent der Eltern genutzt. Daneben stehen in Bayern mit dem Landeserziehungsgeld und dem Betreuungsgeld weitere Leistungen für Mütter oder Väter zur Verfügung.

Als wichtige Anliegen der Politik in Bayern nannte Eiling-Hütig neben der Erhöhung der Chancengerechtigkeit zwischen Frauen und Männern in Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Gesellschaft die Vorbeugung von Altersarmut bei Frauen durch sozialversicherte Beschäftigung. Außerdem konzentriert man sich auf die Unterstützung von Existenzgründungen durch Frauen und die Förderung flexibler Arbeitszeitmodelle, insbesondere nach Familienpausen, sowie der Erhöhung des Angebots an familienorientierten Dienstleistungen und Qualifizierungsangeboten für Frauen. Zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie muss außerdem der Wiedereinstieg nach der Elternzeit erleichtert und Raum für Führungspositionen in Teilzeit geschaffen werden.

Maria Eichhorn, Bundestagsabge ordnete a.D., stellte zunächst die Arbeit der Einrichtung DONUM VITAE vor, einer umfassenden Beratungsstelle, die kostenlos und anonym Beratung zu allen die Schwangerschaft betreffenden Themen bietet. Weiterhin ging Eichhorn auf die zunehmende Relevanz der Altenpflege und des betreuten Wohnens ein. Die Zahl der pflegebedürftigen Menschen nimmt in Deutschland stetig zu. Derzeit werden circa 70 Prozent der Pflegebedürftigen zu Hause betreut und 30 Prozent in Heimen versorgt. Wichtig in diesem Zusammenhang sind auch Sozialstationen, die Alten und Krankenpflegekräfte an Senioren und ärmere Patienten vermitteln, um eine adäquate Versorgung in den eigenen vier Wänden sicherzustellen.

In der anschließenden Diskussion stellte Gabriele Off-Nesselhauf, Bezirksrätin in Oberbayern, zunächst das Mehrgenerationenhaus am Beispiel der Stadt Germering vor. Als zentraler Begegnungsort bietet es soziale Dienste von staatlichen und nichtstaatlichen Einrichtungen an, wobei das umfangreiche Leistungsangebot von der Schwangerenbetreuung über Mittagsgruppen bis zur Sterbebegleitung reicht.

Besuch des Nationalen Museums für Frauen und Kinder Beijing

Abkehr von der Ein-Kind-Politik

Auf die Frage der deutschen Teilnehmerinnen nach den Gründen für die Abkehr von der bisherigen Ein-Kind-Politik erklärte Wu, dass der gesellschaftliche Wandel unter Berücksichtigung wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Gesichtspunkte zu der Entscheidung für eine Zwei-Kind-Politik geführt hat. Die Lage hat sich seit 1980, als die Geburtenregelung eingeführt wurde, grundlegend geändert. Damals musste das Bevölkerungswachstum gebremst werden, da befürchtet wurde, dass es zu Nahrungsmittelengpässen kommen könnte. Insgesamt wurde durch die Ein-Kind-Politik ein Bevölkerungsanstieg um mehrere Hundert Millionen vermieden, so Wu.

Auch der Beitrag, den die Förderung von Berufstätigkeit von Frauen zur Armutsbekämpfung leistet, wurde in der Diskussion nochmals aufgegriffen. Gerade Schulungsmaßnahmen im Bereich familienorientierte Dienstleistungen können dazu beitragen, die Armut junger Frauen ohne Schulabschluss sowie Altersarmut einzudämmen, so Wu. Die Tatsache, dass der Bedarf an Arbeitskräften in dieser Branche sehr hoch ist, trägt maßgeblich zum Erfolg diesbezüglicher Maßnahmen bei. 

Schließlich kamen auch die Betreuungsmöglichkeiten von Kindern berufstätiger Frauen nochmals zur Sprache. Eiling-Hütig führte Erfolge Bayerns beim Ausbau der Zahl der Kinderkrippen und Kindergärten an, betonte aber, dass die Betreuung der Kinder im Grundschulalter für viele Eltern die größere Herausforderung darstellt. Nach den Erfahrungen der letzten Jahre reiche den meisten Eltern eine Hortbetreuung aus, gleichzeitig bemüht sich Bayern aber auch um den Ausbau von Ganztagsschulen.

Beide Seiten äußerten zum Abschluss des Aufenthalts den Wunsch, den Austausch zu familienpolitischen Themen und Fragestellungen fortzuführen. Die Mischung aus hochrangigen Gesprächen, theoretischer Auseinandersetzung und Besuchen in Einrichtungen und Projekten auf der Durchführungsebene soll dabei beibehalten werden. 

Autor: Alexander Birle