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„Opferschutz im Jugendstrafrecht“
Deutsch-Chinesische Konferenz mit der China Universität für Politik und Rechtswissenschaft (CUPL)

Am 9. Juni 2022 organisierte die Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) zusammen mit der China Universität für Politik und Rechtswissenschaft (CUPL) einen online durchgeführten Austausch zum Thema „Opferschutz im Jugendstrafrecht“. In Deutschland folgten auf das 1986 eingeführte Opferschutzgesetz zahlreiche Änderungen, die diesen Opferschutz auch im Jugendstrafrecht verankerten. Nach einem einführenden Vortrag von Prof. Dr. Franz Streng über die Regelungen in Deutschland, gaben die anwesenden chinesischen Wissenschaftler in ihren Kommentaren Einblicke in die Situation in China.

Die Veranstaltung fügte sich in die langjährige und vertrauensvolle Kooperation der

Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) mit der China Universität für Politik und

Rechtswissenschaft (CUPL), die zudem eingebettet ist in den Deutsch-Chinesischen

Rechtsstaatsdialog. Auf Einladung von Prof. Dr. Wang Zhenhui, China Universität für Politik und Rechtswissenschaft (CUPL), tauschten sich Prof. Dr. Franz Streng (Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg/FAU) und die anwesenden chinesischen Wissenschaftler - Prof. Dr. He Ting (Beijing Normal University/ Vizedirektor der neunten Abteilung (für Jugendsachen) der Chinesischen Obersten Volksstaatsanwaltschaft), Prof. Dr. Jiang Su (Peking Universität), Prof. Dr. Cheng Jie (UCASS), Prof. Dr. Xiang Yan (Südwestliche Universität für Politikwissenschaft und Recht) und Prof. Dr. Song Yinghui, im Online-Format darüber aus, auf welch unterschiedliche Weise die Dogmatisierung die Rechtsanwendung in Deutschland und China beeinflusst.

Prof. Dr. Streng erklärte den Täter-Opfer-Ausgleich in Deutschland

T-O-A: Täter-Opfer-Ausgleich

In seinem Vortrag erläuterte Prof. Streng zunächst die Grundlagen der Thematik für Deutschland. Im allgemeinen Strafprozess herrscht das Legalitätsprinzip, d.h. es besteht Verfolgungszwang und, falls die Voraussetzungen für eine Anklage vorliegen, grundsätzlich auch Anklagezwang. Dieser Grundsatz wird jedoch durch das Opportunitätsprinzip etwas aufgelockert, z.B. im Falle (zu) geringer Schule, wenn ein Verfahren eingestellt wird. Das Jugendstrafrecht geht sogar noch einen Schritt weiter: Hier wird das Legalitätsprinzip weitgehend durch das Subsidaritätsprinzip eingeschränkt. Dies schreibt vor, dass nur dann angeklagt werden soll, wenn ein informelles Vorgehen der Staatsanwaltschaft (Para. 45 JGG) nicht ausreicht. Grundsätzlich kennt das Jugendstrafrecht (JGG) drei spezifische Rechtsfolgen der Straftat eines Jugendlichen: Erziehungsmaßregeln (Para. 10 I S.1 JGG: „Gebote und Verbote, die die Lebensführung des Jugendlichen regeln und dadurch seine Erziehung fördern und sichern sollen“), Zuchtmittel und Jugendstrafe.

Nach Absatz 1 Para. 45 ist die Voraussetzung für eine staatsanwaltliche Einstellung des Jugendstrafverfahrens, dass eine erzieherische Maßnahme bereits durchgeführt oder eingeleitet wurde. Para 45 II S.2 JGG regelt, wie über erzieherische Maßnahmen ein Ausgleich mit dem Verletzen erreicht werden kann, also ein Täter-Opfer-Ausgleich (T-O-A), wodurch der „soziale Konflikt“ begrenzt und somit auch die Schuld gemindert werden soll. Eine Entschuldigung des Täters kann dem Opfer auch dabei helfen, mit der psychischen Viktimisierung besser fertigzuwerden. Für solche Entschuldigungs- oder Ausgleichsgespräche werden häufig speziell ausgebildete Mediatoren hinzugeholt. Sollte die in einem solchen Gespräch vereinbarte Verpflichtung später vom Täter nicht erbracht werden, kann die Staatsanwaltschaft das eingestellte Verfahren jederzeit wieder fortsetzen, da die Einstellungsverfügung gem. Para 45 II JGG nicht in Rechtskraft erwächst.

Prof. Xiang Yan

Unterschiedliche Handhabung in China

In ihren Kommentaren verglichen im Anschluss die chinesischen Wissenschaftler die Situation in Deutschland mit den Regelungen in China. Prof. Jiang hob dabei anfangs hervor, dass es in China nicht nur kein gesondertes Jugendstrafrecht - sondern nur spezielle Gesetze für Jugendliche im allgemeinen Strafrecht -, sondern auch keine expliziten Vorschriften zum Täter-Opfer-Ausgleich gibt. Da China bei Jugendlichen jedoch auch mehr und mehr auf den Erziehungsgedanken setzt, wird in der Praxis häufig nach diesem Prinzip verfahren. Die T-O-A-Rechtsfigur fand 2012 erstmals Eingang in Chinas Strafprozessordnung. Auch hier ist der Hintergedanke, dass das Prinzip zur Vermeidung sozialer Konflikte beitragen soll. Prof. Cheng arbeitete in seinen Ausführungen die konkreten Unterschiede bei der Anwendung in beiden Ländern heraus.

So gelten in Deutschland deutlich weniger Einschränkungen für die Anwendung als in China. Zudem kann der Täter durch seine Ausgleichsbemühungen Strafminderung bzw. eine Milderung der strafrechtlichen Ermittlung erzielen. Ein besonders wichtiger Unterschied ist, dass der Mechanismus in Deutschland kein vollständiges Geständnis voraussetzt, sondern lediglich die Reuebekundung – in China dagegen ist ein umfassendes Einräumen und Erklären der Tat erforderlich.

Prof. Yang pflichtete Prof. Jiangs Ausführungen zu: China setzt im Umgang mit jugendlichen Straftaten vermehrt auf den Erziehungsgedanken und setzt daher in diesem Bereich häufig das T-O-A-Prinzip ein, um eine Versöhnung zwischen beiden Parteien zu ermöglichen. Sie hob hervor, dass es die Aufgabe der Staatsanwaltschaft ist, sicherzustellen, dass dieser Ausgleich freiwillig und nicht aus Zwang bzw. erst nach Druckausübung erfolgt. 

Prof. He Ting und Prof. Song Yinghui

 

Allerdings ist der Anwendungsbereich in China eher eng. Erstens wird T-O-A für zivilrechtliche Streitigkeiten mit Strafen bis zu 3 Jahren und zweitens für Strafen bis zu 7 Jahren angewendet (z.B. Eigentums- oder Personenverletzungen). Häufig wird der T-O-A-Ausgleich in China zudem mit einem materiellen oder finanziellen Ausgleich verbunden.

Prof. He sprach sich dafür aus, den T-O-A- noch früher in, bzw. sogar schon vor dem Strafprozess einzubinden. Die Tatsache, dass es in China häufig erst später erfolgt, führt unter anderem dazu, dass es selten zu einem persönlichen Treffen zwischen Täter und Opfer kommt, da sich der Täter zu der Zeit zum Beispiel in Haft befindet.

Im letzten Teil der Konferenz fasst Prof. Song die Ergebnisse noch einmal zusammen und gab einige weiterführende Kommentare seinerseits. Er betonte, dass es der Sinn des T-O-A sein sollte, einerseits den Täter dazu zu bewegen, nach einem Ausgleich zu suchen, und im Ergebnis davon, dem Opfer dabei zu helfen, seine physischen (und evtl. auch materiellen) Schäden zu überkommen. Anders als Deutschland, das bereits seit 1923 ein kodifiziertes Jugendstrafrecht hat, gibt es ein solches besonderes Gesetzeswerk in China bislang noch nicht. Wie bereits seine Vorredner sprach er sich jedoch dafür aus, beim Umgang mit jugendlichen Straftaten noch stärker auf den Erziehungsgedanken und weniger auf die Bestrafung zu setzen.