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„Dogmatisierung des Verfassungsrechts“
Deutsch-Chinesische Konferenz mit der China Universität für Politik und Rechtswissenschaft (CUPL)

Am 18. Mai 2022 organisierte die Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) zusammen mit der China Universität für Politik und Rechtswissenschaft (CUPL) einen online durchgeführten Austausch zum Thema „Dogmatisierung des Verfassungsrechts“. Nach einem einführenden Vortrag von Prof. Dr. Uwe Volkmann, gab Prof. Zhao Hong einige Einblicke in die Entwicklung in China, was in der Folge zu einer interessanten Diskussion über Ähnlichkeiten und Unterschiede in beiden Ländern führte.

Die Veranstaltung fügte sich in die langjährige und vertrauensvolle Kooperation der Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) mit der China Universität für Politik und Rechtswissenschaft (CUPL), die zudem eingebettet ist in den Deutsch-Chinesischen Rechtsstaatsdialog. Auf Einladung von Prof. Xie Libin, Dekan des Chinesisch-Deutschen Instituts für Rechtswissenschaft der China Universität für Politik und Rechtswissenschaft (CUPL), tauschten sich Prof. Dr. Uwe Volkmann, Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, und Prof. Zhao Hong, Professorin für Öffentliches Recht an der Law School der China Universität für Politik und Rechtswissenschaft, im Online-Format darüber aus, auf welch unterschiedliche Weise die Dogmatisierung die Rechtsanwendung in Deutschland und China beeinflusst.

Überdogmatisierung verhindern

In seinem Vortrag erläuterte Prof. Volkmann zunächst, was mit dem Begriff Dogmatik genau gemeint ist, warum Dogmatiken im Rechtsbereich wichtig sein können und worin andererseits die Probleme bestehen. Allgemein wird mit Rechtsdogmatik die Lehre vom geltenden Recht bezeichnet, welche die wissenschaftliche Vorarbeit für die spätere Rechtsanwendung in der Rechtspraxis leistet. Grob gesagt ist es ein System von Sätzen und Aussagen, mit dessen Hilfe das geltende Recht begrifflich und strukturell durchdrungen wird, um so seine Anwendung zu steuern. Die Dogmatik soll auf diese Weise vor allem dazu beitragen, die Rechtsanwendung zu rationalisieren und strukturieren. Außerdem soll sie zur Entlastung des Rechtsanwenders sowie zur weiteren Entwicklung und Fortbildung des Rechts führen. Man unterscheidet dabei in drei verschiedene Stufen: die Allgemeine Dogmatik (allgemeine Rechtsprinzipien), Bereichsspezifische Dogmatiken (z.B. allgemeine Grundrechtslehren) und Normspezifische Dogmatiken (z.B. Dreistufenlehrer zu Art. 12 I GG).

Prof. Dr. Volkmann warnt vor einer Überdogmatisierung des Rechts

Prof. Zhao erklärt, was für die Dogmatisierung in China noch fällt

Für die konkrete Anwendung des Rechts bieten sie insofern Hilfestellungen, als dass sie Prüfschemata anbieten, zum Beispiel auch in potenziellen staatlichen Eingriffen in die garantierten Grundrechte. Hier folgt man einem Dreischritt-Muster: Zunächst wird überprüft, ob das betreffende Verhalten überhaupt grundrechtlich geschützt ist (Schutzbereich). Dann wird überprüft, ob das Verhalten in irgendeiner Weise eingeschränkt wird (Eingriff). Und letztlich gilt zu prüfen, ob der Eingriff zu rechtfertigen ist (Rechtfertigung). Ein Beispiel hierfür wäre Artikel 2 GG, mit dem das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit garantiert wird, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. Dieses Beispiel zeigt aber auch die Grenzen der Dogmatisierung auf. Denn im Laufe der Entwicklung wurden dogmatische Vorgaben werden immer dichter und kleinteiliger, wodurch sich die Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit der Rechtsanwendung erhöht hat. Das führt dazu, dass die Rechtsanwendung tendenziell unflexibler wird, man spricht hier auch vom „Problem der Überdogmatisierung“. Es muss sichergestellt werden, dass der Schutz der Grundrechte nicht durch eine Überdogmatisierung der Rechtswissenschaft vermindert wird. Eine Schwächung der Gerichtsbarkeit gegenüber der Exekutive in der Rechtsanwendung muss verhindert werden.

Deutsche Erfahrungen auch in China nutzen

Prof. Zhao machte in ihrem Kommentar eingangs klar, dass sich das 1982 in Kraft getretene Verfassungsrecht in China grundsätzlich von dem in Deutschland unterscheidet, da es sehr stark politisch verbunden ist, also stärker von der Regierung bzw. der Partei beeinflusst wird. Daher wird die Dogmatisierung in China bislang weitgehend auf einer politikwissenschaftlichen Ebene betrieben. Eine Dogmatisierung, wie sie in Deutschland betrieben wird und die das Rechtswesen tendenziell mehr vor politischen Eingriffen schützt, ist in China daher schwer umsetzbar. Das heißt jedoch nicht, dass China nicht für gewisse Rechtsbereiche, zum Beispiel das Eigentumsrecht, auch dogmatische Einflüsse aus Deutschland für die Bildung seines eigenen Rechtssystems genutzt hat. Auch das dreistufige Prüfungsschema wird in China teilweise ähnlich angewendet wie in Deutschland. Dem Prinzip, dass sich nicht der Bürger für seine Rechte rechtfertigen muss, sondern der Staat seine Eingriffe rechtfertigen muss, stimmt Prof. Zhao ebenfalls zu.

Wie Prof. Xie spricht sich auch Prof. Zhao grundsätzlich für das System der Dogmatisierung aus, allerdings gibt es in China noch keinen breiten Konsens zur Umsetzung eines dogmatischen Vorgehens.

Zudem sollte man auch vorab sicherstellen, dass man nicht wie Deutschland mit dem Problem der Überdogmatisierung konfrontiert ist. Sie hebt in ihrem Beitrag vor allem den Vorteil heraus, dass über die Dogmatisierung klare, stabile und verlässliche Richtlinien entstehen und dass das Rechtssystem dadurch verstärkt methodisch geleitet ist. Dies hätte auch einen positiven Einfluss auf die Bildung bzw. Ausbildung in der Rechtswissenschaft.

Autor: Ole Engelhardt