Print logo

Deutsch-Chinesische Konferenz mit der China Universität für Politik und Rechtswissenschaft (CUPL)
„Der Schutz des Eigentums durch Art. 14 Grundgesetz - Entschädigungsrechtliche Fragen der Corona-Pandemie“

Am 15. September 2022 organisierte die Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) zusammen mit der China Universität für Politik und Rechtswissenschaft (CUPL) einen online durchgeführten Austausch zum Thema „Der Schutz des Eigentums durch Art. 14 Grundgesetz - Entschädigungsrechtliche Fragen der Corona-Pandemie“. Nach einem einführenden Vortrag von Prof. Dr. Foroud Shirvani von der Universität Bonn über Entschädigungsrechtliche Fragen der Corona-Pandemie in Deutschland diskutierte er mit den chinesischen Experten die unterschiedlichen Regelungen in beiden Ländern.

Die Veranstaltung ist ein weiterer Teil der langjährigen und vertrauensvollen Kooperation zwischen der Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) und der China Universität für Politik und Rechtswissenschaft (CUPL), die eingebettet ist in den Deutsch-Chinesischen Rechtsstaatsdialog. In diesem Fall tauschten sich die beiden chinesischen Experten, Prof. Xie Libin und Frau Prof. Zhao Hong von der CUPL mit einem der renommiertesten deutschen Experten zum Eigentumsrecht in Deutschland, Prof. Dr. Foroud Shirvani (Prof. für Öffentliches Recht Universität Bonn) aus, um besser zu verstehen, auf welche Art und Weise die beiden Länder den Schutz des Eigentums im Kontext der Corona-Pandemie garantieren.

Aktuelle Regelungen in Deutschland und in China

In seinem Vortrag erläuterte Prof. Shirvani zunächst die rechtlichen Grundlagen, indem er Art. 14 (1) des Grundgesetzes (GG) zitierte: „Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt […].“ Eigentum ist somit auch als ein Freiheitsrecht zu verstehen, dessen Verletzung in einem Entschädigungsanspruch resultiert (Abwehrrecht gegen den Staat). In letzter Zeit haben beispielsweise erzwungene Betriebsschließungen aufgrund der Infektionsgefahr als Folge der Corona-Pandemie diese Thematik besonders in den Fokus gerückt. Gestützt auf das Infektionsschutzgesetz (IfSG) haben der Bund und die deutschen Bundesländer seit März 2020 eine Vielzahl von Infektionsschutzmaßnahmen erlassen, in deren Zuge es v.a. im Gastronomie- und

Hotelgewerbe zu Betriebsschließungen kam, was für die betroffenen Unternehmen folglich zu Einnahmeverlusten führte. Die staatlich gewährten Entschädigungsleistungen in Form von Hilfsprogrammen reichten oftmals nicht zur Kompensation aus. Entsprechende Klagen waren bislang allerdings erfolglos.

Als Grundlage für Entschädigungszahlungen kommen grundsätzlich Par. 56 und 65 des IfSG infrage. Nach § 56 Abs. 1 S. 1 IfSG erhält derjenige eine Entschädigung in Geld, der auf Grund des Infektionsschutzgesetzes etwa als Ansteckungsverdächtiger oder Krankheitsverdächtiger Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt und dadurch einen Verdienstausfall erleidet. § 65 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 IfSG gewährt einen Entschädigungsanspruch, soweit auf Grund einer Maßnahme nach den §§ 16 und 17 IfSG Gegenstände vernichtet, beschädigt oder in sonstiger Weise in ihrem Wert gemindert werden oder ein anderer nicht nur unwesentlicher Vermögensnachteil verursacht wird. Aus beiden Artikeln lässt sich laut Prof. Shirvani für diese konkrete Situation kein Anspruch ableiten.

Überdies ließe sich eventuell wegen des Eingriffs in das Eigentumsrecht ein Anspruch herleiten. Dieser Anspruch ist nicht gesetzlich, sondern richterrechtlich geregelt, also durch ständige Rechtsprechung, anerkannt, und stützt sich auf den sog. „Aufopferungsgrundsatz“: Bei einem Konflikt zwischen dem Gemeinwohl und einem Individualrecht das Individualrecht zurückstehen. Der Betroffene erhält aber eine Entschädigung. Der Anspruch aus enteignendem Eingriff verlangt darüber hinaus das Vorliegen eines Sonderopfers beim Betroffenen. Nach der Rechtsprechung ist das Sonderopfer gegeben, wenn die Einwirkungen „im Verhältnis zu anderen ebenfalls betroffenen Personen eine besondere ‚Schwere‘ aufweisen oder im Verhältnis zu anderen nicht betroffenen Personen einen Gleichheitsverstoß bewirken“. Um die

Sonderopferlage zu bejahen, müssen die Umstände des Einzelfalls umfassend geprüft werden. Dabei kommt es etwa auf den „Umfang […] der erlittenen Nachteile“ oder auf die Auswirkungen an, die sich „nach Art und Dauer […] besonders einschneidend, gar existenzbedrohend“ erweisen. Allerdings betrifft der enteignende Eingriff in der Regel nur Konstellationen, in denen dem Einzelnen Sonderopfer auferlegt werden, die finanziell zu kompensieren sind. Der enteignende Eingriff ist keine Anspruchsgrundlage, um „massenhaft auftretende Schäden“ zu entschädigen.

Er kann insbesondere nicht aktiviert werden, „um die generellen und typischen Folgen einer in einem formellen Gesetz enthaltenen“ Inhalts- oder Schrankenbestimmung des Eigentums finanziell abzugelten.“ Auch hieraus leitet sich demzufolge kein Anspruch ab.

Eine weitere Option für Unternehmen wäre es, Entschädigungen zu verlangen, falls

sich die Betriebsschließungen als rechtswidrig darstellen sollten. Ein Entschädigungsanspruch aus „enteignungsgleichem“ Eingriff liegt vor, wenn durch eine rechtswidrige hoheitliche Maßnahme in eine durch das Eigentumsgrundrecht geschützte Rechtsposition unmittelbar eingegriffen und dem Eigentümer dadurch ein Sonderopfer auferlegt wird. Der entscheidende Unterschied zwischen dem Anspruch aus „enteignungsgleichem“ und dem oben erwähnten „enteignendem“ Eingriff besteht darin, dass beim enteignungsgleichen Eingriff die staatliche Maßnahme rechtswidrig ist. Durch die Rechtsverordnungen der Länder, mit denen die Betriebsschließungen angeordnet wurden, wurde in die Eigentumsposition der Betriebsinhaber unmittelbar eingegriffen. Ein Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff liegt nur vor, wenn diese Rechtsverordnungen nun wieder eigene Rechtsverstöße enthielten, die nicht auf das Infektionsschutzgesetz zurückzuführen sind. Sollte dies bejaht werden können, stellt sich als nächstes die Frage in welchem Umfang die Unternehmen Entschädigung verlangen können. Nach der Rechtsprechung kann der Betroffene im Falle eines enteignungsgleichen Eingriffs eine angemessene Entschädigung verlangen - nicht aber Ersatz für den gesamten ihm entstandenen Schaden.

Die vorausgehenden Ausführungen zeigen eine gemischte Bilanz: Unternehmen, die infolge rechtmäßiger pandemiebedingter Verbote wirtschaftliche Schäden erleiden, haben nach gegenwärtiger Rechtslage keinen Anspruch auf Entschädigung.  Unternehmen könnten nur dann einen Entschädigungsanspruch haben, wenn die Rechtsverordnungen, mit denen die Betriebsschließungen angeordnet wurden, sich als rechtswidrig darstellen. In mittlerer Perspektive bleibt abzuwarten, ob der Bundesgesetzgeber das Infektionsschutz-Entschädigungsrecht reformiert und um Entschädigungstatbestände ergänzt.

 

Im Anschluss an den detaillierten Vortrag von Prof. Dr. Shirvani schilderten Prof. Xie Libin und Prof. Zhao Hong in ihren Kommentaren und in der Diskussion die gegenwärtige Situation in China. Auch in China kam es in Folge der Corona-Pandemie zu zahlreichen Betriebsschließungen, wahrscheinlich sogar in einem weitaus größeren Maßstab als es in Deutschland der Fall war. Auch über 2,5 Jahre nach Ausbruch der Pandemie versucht China mit seiner dynamischen Null-Covid-Politik weiterhin erfolgreich, die Zahl der Neuinfektionen so niedrig wie möglich zu halten, weshalb es auch aktuell immer wieder zu Teil-Lockdowns kommt, die sich über Tage, Wochen oder gar Monate hinziehen können. Genau wie in Deutschland sind auch in China ganz besonders die Branchen Gastronomie und Hotellerie betroffen. Prof. Xie und Prof. Hong machten deutlich, dass es auch in China als Reaktion auf die darunter leidenden Unternehmen mehrere Hilfsprogramme zur Unterstützung geschürt hat. Diese umfassen nicht nur Direktzahlungen, sondern primär Steuer- und Beitragssenkungen- bzw. -stundungen sowie Mietsenkungen bzw. -stundungen, um den Cash Flow der Unternehmen auf einem ausreichend hohen Niveau zu halten. Die detaillierten Unterstützungsmaßnahmen können sich je nach Provinz bzw. Stadt unterscheiden, da in der Regel die Lokalregierungen für die genaue Ausgestaltung verantwortlich sind. Konkrete gesetzliche Regelungen, auf deren Grundlage Unternehmen in China Entschädigungseinzahlungen für die Betriebsschließungen im Zusammenhang mit der Pandemiebekämpfung einfordern können, gibt es in China allerdings derzeit ebenfalls nicht.

Autor: Ole Engelhardt