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Strafrechtswissenschaftlicher Austausch mit der Peking-Universität
„Criminal Compliance – ein globales Phänomen Regulierungskonzepte und ihre praktische Realität im Rechtsvergleich“

Am 8. und 9. Oktober 2022 organisierte die Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) zusammen mit der Peking-Universität einen zweitägigen online durchgeführten Austausch zum Thema „Criminal Compliance – ein globales Phänomen

– Regulierungskonzepte und ihre praktische Realität im Rechtsvergleich“. Dabei tauschten sich renommierte Experten beider Länder detailliert über die unterschiedlichen Regelungen in Deutschland und China aus, beleuchteten gemeinsame Herausforderungen und versuchten zusammen Lösungsansätze zu ergründen.

 

Die Veranstaltung war ein weiterer wichtiger Beitrag, den die Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) gemeinsam der Peking-Universität im Rahmen ihrer langjährigen und vertrauensvollen Kooperation zum rechtswissenschaftlichen Austausch zwischen Deutschland und China leistet. Auf Einladung von Prof. Su Jiang (Peking-Universität) tauschten sich zahlreiche chinesische und deutsche Experten von renommierten Hochschulen über verschiedene Details der Criminal Compliance-Thematik aus. Namentlich nahmen die folgenden Experten teil: Prof. Dr. Markus Wagner (Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn), Prof. Dr. Bencan Li (Universität Shandong), Prof. Dr. Yuming Fu (Universität für Politikwissenschaft und Recht Nordwestchinas), Prof. Dr. Prof. h.c. Arndt Sinn (Universität Osnabrück), Prof. Dr. Kun Dong (Chinesische Akademie der Sozialwissenschaften), Jun.-Prof. Dr. Lucia Sommerer (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg), Prof. Dr. Jun Zhao (Pädagogische Universität Peking), Dr. Zhiwei Tang (LMU München) und Prof. Dr. Konstantina Papathanasiou, LL.M. (Universität Liechtenstein). Im Anschluss an die jeweiligen Fachvorträge entwickelte sich eine angeregte und intensive Diskussionen, in denen weitere Herausforderungen und mögliche Lösungsansätze debattiert wurden.

Tag 1: Diskussion der Grundlagen und aktuellen Bedeutung in beiden Ländern

Aufgrund der Vielzahl der Vorträge werden im Folgenden nur die zentralen Aussagen der jeweiligen Experten kurz zusammengefasst.

In seinem Eröffnungsvortrag gab Prof. Dr. Markus Wagner eine Einleitung in die Bedeutung von (Criminal) Compliance-Maßnahmen in der aktuellen deutschen Rechtspraxis. Obwohl der Begriff „Compliance“ zwar inzwischen vereinzelt in deutschen Gesetzen auftaucht, ist er noch nicht legaldefiniert. Allgemein ist damit zunächst „rechtskonformes Verhalten“ gemeint, im Unternehmenskontext aber im Speziellen diejenigen organisatorischen Maßnahmen, die ergriffen werden, um die Einhaltung der gesetzlichen Regeln sicherstellen zu können. „Criminal Compliance“ bedeutet dagegen „kriminalitätsbezogene Compliance“ und meint die Maßnahmen zur Einhaltung strafrechtlich relevanter Regelungen (z.B. sensibilisierende Schulungen von Unternehmensmitarbeitern oder die Formulierung von unternehmensinternen Richtlinien und Codices). Mit „Criminal Compliance“ soll aber nicht nur präventiv die Begehung von Taten verhindert werden, sondern sogar bereits das mögliche Entstehen eines - insbesondere auch unzutreffende - Verdachts solcher Straftaten. Die Beweggründe dafür sind sowohl vielfältig als auch eindeutig, denn mit einem solchen Verdacht einhergehende Ermittlungen können typischerweise mit intensiven Grundrechtseingriffen einhergehen, die verhindert werden sollen (z.B. Durchsuchung von Geschäftsräumen oder Beschlagnahme von Unterlagen und Computern).

Auch ohne viele konkrete gesetzliche Vorschriften sind de facto alle deutschen Unternehmen dazu verpflichtet, Compliance-Maßnahmen zu ergreifen, um unternehmensbezogene Straftaten und Ordnungswidrigkeiten durch Unternehmensmitarbeiter zu verhindern.  Verstöße dagegen können dazu führen, dass nicht nur die jeweiligen Unternehmensmitarbeiter sanktioniert werden können, sondern auch Leitungspersonen sich strafbar machen oder ein Bußgeld gegen sie oder gar gegen das Unternehmen als Ganzes verhängt werden kann – obgleich das deutsche Recht bislang keine echte, kriminalstrafrechtliche Unternehmensstrafbarkeit kennt. Ein über das klassische Compliance hinausgehende Criminal Compliance soll dazu beitragen, den bloßen Verdacht einer Straftat und somit einen Reputationsschaden für das Unternehmen zu verhindern. Im Falle einer begangenen Straftat können sich (dann erfolglose) Criminal Compliance im Nachhinein zudem durchaus strafmildernd auswirken.

Prof. Dr. Bencan Li fokussierte sich im Anschluss an die materiellrechtlichen Grundlagen der „Criminal Compliance“ und erklärte, dass das Konzept der Compliance sowohl aus der Perspektive des Unternehmens als auch aus der des Staates verstanden werden kann. Aus der Perspektive des Unternehmens bedeutet strafrechtliche Compliance, dass das Geschäftsverhalten des Unternehmens im Einklang mit den Bestimmungen des Strafrechts stehen sollte, was in der chinesischen Verfassung eindeutig festgelegt ist. Aus der Sicht des Staates bezieht sich die strafrechtliche Compliance auf die Instrumente des Strafrechtssystems, die die Selbstregulierung von Organisationen fördern sollen. Die Möglichkeit der Haftung einer Organisation lässt sich aus § 30 des chinesischen Strafrechts ableiten und bildet damit die materiellrechtliche Grundlage für eine strafrechtliche Compliance-Regelung, die die Art des Verschuldens ausschließt. Aufgrund der starken Zersplitterung des chinesischen Strafrechts kann die Verpflichtung zur Einhaltung der Vorschriften in einigen Bereichen nur durch individuelle Verantwortung begründet werden, so dass eine strafrechtliche Regelung für die Einhaltung der Vorschriften als Anknüpfungspunkt für die individuelle Verantwortung entsteht.

Was die verfahrensrechtlichen Anreize betrifft, so gibt es in China derzeit kein System der aufgeschobenen Strafverfolgung bei Unternehmensdelikten, aber im Rahmen der zweiten Phase der von der Obersten Volksstaatsanwaltschaft durchgeführten Pilotreform im Jahr 2021 hat die sog. „konditionale Nicht-Verfolgung“ (conditional non-prosecution) mit strafrechtlicher Beratung zur Einhaltung von Unternehmensvorschriften teilweise die Funktion der aufgeschobenen Strafverfolgung übernommen und dazu gedient, die Einhaltung von Unternehmensvorschriften durch verfahrensrechtliche Anreize zu fördern. Die Anwendung der relativen Nichtverfolgung sollte sich jedoch auf Artikel wie Artikel 37 des Strafgesetzes stützen, der somit die materiellrechtliche Grundlage für diese Art der strafrechtlichen Compliance bildet.

Wie auch in anderen Länder sind Fragen, wie mit Compliance-Risiken im Rahmen der Geschäftstätigkeit umzugehen ist, auch in China zu einem gemeinsamen Anliegen von Gesetzgebern und Wissenschaftlern geworden. In der bestehenden Forschung in China werden meist vergleichende Studien durchgeführt, d. h. es werden die institutionellen Erfahrungen anderer Länder vorgestellt und Lösungen für die Probleme in China vorgeschlagen. Aus diesem Grund begrüßte Prof. Li auch die Organisation dieses Austauschs mit Deutschland. Auf der Grundlage der Erfahrungen aus dem Ausland haben Wissenschaftler in China die Systematisierung des strafrechtlichen Compliance-Systems vorgeschlagen, d. h. die Einbeziehung des strafrechtlichen Compliance-Systems durch die Änderung des Strafrechts und des Strafprozessrechts.

Prof. Dr. Kun Dong erläuterte in seinem Vortrag die Möglichkeit einer Verfahrenseinstellung aufgrund der Unternehmens-Compliance. In den letzten Jahren sind verschiedene Pilotprojekte zur Reform der Corporate Compliance durchgeführt wurden und viele chinesische Wissenschaftler haben ihre Erfahrungen aus dem Ausland in diesem Themenbereich genutzt, um auch die chinesische Forschung über die Einhaltung von Vorschriften in Unternehmen weiterzuentwickeln. Mit dem Fortschreiten der Pilotreformen und der wissenschaftlichen Forschung haben sich aber auch neue Fragen ergeben. Besonders hervorzuheben ist dabei die Einhaltung der Vorschriften durch die Unternehmen in der Phase, in der sie wegen eines Verdachts überprüft werden (Ermittlungsphase). Aus praktischer Sicht haben die Beschlagnahme, die Pfändung, die Ermittlung und das Einfrieren von Vermögenswerten für die betroffenen Unternehmen schwerwiegendere Auswirkungen auf die normale Geschäftstätigkeit - unabhängig davon, ob es sich um die langwierigen Ermittlungen und die Sammlung von Beweisen oder um die ausstehende Inhaftierung der für das Unternehmen verantwortlichen Person handelt.

Um sicherzustellen, dass die betroffenen Unternehmen „überleben“ können, ist es notwendig, während der Ermittlungsphase für die Einhaltung der Vorschriften zu sorgen. Vor diesem Hintergrund wird in diesem Beitrag die Corporate Compliance in der Ermittlungsphase als Forschungsgegenstand gewählt.

Die Einführung der Corporate Compliance während der Ermittlungsphase hat eine doppelte Funktion: Die erste Funktion ist es, zur Bewältigung von Kriminalität im Unternehmen beizutragen, d. h. die Ermittlungsbehörden und die Staatsanwaltschaft arbeiten zusammen, um frühzeitig Vorbereitungsmaßnahmen wie die Bewertung der Compliance-Bedingungen der betroffenen Unternehmen durchzuführen. Die zweite Funktion der Corporate Compliance, die Unterstützung bei der Ermittlung und Sammlung von Beweisen, sollte in Zukunft noch weiter erforscht werden. Mit der komplexer werdenden international vernetzten Wirtschaft sind auch die interne Zusammensetzung und die Geschäftsstruktur von Unternehmen sehr komplex geworden. Dies bedeutet, dass der traditionelle kontradiktorische Ansatz in der Forensik oft nur schwer an das gegenwärtige interne Unternehmensumfeld angepasst werden kann. Die Entwicklung einer Reform der Corporate Compliance während der Ermittlungsphase könnte dazu beitragen, eine kooperative Beziehung zwischen Unternehmen und den öffentlichen Sicherheits- und Justizbehörden aufzubauen und die Ermittlungs- und Beweiserhebungsarbeit zu erleichtern.

In seinem Vortrag versuchte Prof. Dr. Sinn die Frage zu beantworten, ob Compliance-Maßnahmen ein Grund für eine Straffreistellung sein können. Konkret erläuterte er, auf welcher Systemebene, mit welcher Methodik und welcher dogmatischen Begründung Compliance-Maßnahmen zu einer Entlastung, also zur Straffreistellung bzw. Sanktionsfreistellung des Täters bzw. des Unternehmens, führen können.

Grundlegend kann man festhalten, dass eine straffreistellende Wirkung vor dem Hintergrund von Compliance im Zusammenhang mit der Auslegung von Tatbestandsmerkmalen eintreten. Konkret kann eine solche Straffreistellung aus unterschiedlichen Gründen gewährt werden, die Entscheidung basiert dabei auf einem Regel-Ausnahme-System: Das heißt, die gegenwärtige Strafrechtsdogmatik in Deutschland verbindet mit vier sog. „Zurechnungsstufen“ - Handlung, Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuldhaftigkeit - jeweils verschiedene Wertungen und erlaubt es somit, aus der Vielzahl täglicher Verhaltensweisen diejenigen herauszufiltern, die sozial unerträglich und deshalb zu bestrafen sind. Für eine Freistellung des Täters sind insbesondere die beiden Zurechnungsstufen der Rechtfertigung und Entschuldigung relevant. Daneben gibt es aber auch auf der Ebene der Tatbestandsmäßigkeit Gründe, die zu einer Straffreistellung führen können, etwa durch die Auslegung von Merkmalen des gesetzlichen Tatbestandes oder durch die Einführung von die Reichweite des gesetzlichen Tatbestandes beschränkenden Zurechnungskriterien auf objektiver und subjektiver Tatseite. In diesem Zusammenhang stellt Prof. Dr. Sinn einige Beispiele vor und beantwortet die Frage nach einer möglichen Straffreistellung. Im Falle einer objektiven Zurechnung sieht er keine Möglichkeit auf eine straffreistellende Wirkung. Gleiches gilt auf der Ebene der subjektiven Zurechnung, solange die Person Kenntnis von der Fehlorganisation und der dadurch bewirkten Risiko- und Gefahrensituation hat, zu deren Verhinderung der Geschäftsherr verpflichtet ist. Im Rahmen des Fahrlässigkeitsdelikts kommt eine Straffreistellung jedoch in Frage, falls ein Compliance-System der Verhinderung solcher Schäden zu dienen bestimmt ist, zu denen die Person verpflichtet ist.

Prof. Dr. Sinn gibt auch eine Antwort auf die Frage einer Rechtfertigung von bestimmten Schäden (sog. Erfolgsunwert), die trotz eines korrekten und überwachten Compliance-Systems eintreten. Ein Verhalten, das weder vorsätzlich noch objektiv sorgfaltswidrig bzw. nicht über das erlaubte Maß gefahrerhöhend ist, kann trotz der kausalen Bewirkung eines Erfolges nicht rechtswidrig sein, da es an dem für rechtswidriges Verhalten typischen und im gesamten Strafrechtssystem leitenden „Handlungsunwert“ fehlt.

Tag 2: Diskussion der Grundlagen und aktuellen Bedeutung in beiden Ländern

In ihrem Vortrag beleuchtete Jun.-Prof. Dr. Lucia Sommerer das Thema „Kriminologie und Straftatvermeidung – Creative-Compliance-Delinquenz im Grenzbereich der Legalität“ und machte gleich zu Anfang klar, dass vor allem in der Wirtschaftskriminalität die Grenzen zwischen kriminellem und legalem Verhalten von vornhinein nicht immer für alle Beteiligten völlig klar sind. Unter dem Stichwort „Creative Compliance Delinquenz“ erläuterte sie im Folgenden, mit welchen Methoden verschiedene Akteure versuchen, diese Grenze zu verschieben. Während Unternehmen mit der klassischen Criminal Compliance versuchen, strafbare Handlungen im Vorhinein selbst zu verhindern, meint der aus dem Englischen übernommene Begriff der Creative Compliance Dr. Sommerer zufolge den „ex-ante-Einsatz juristischer Expertise, um im Grenzbereich der Legalität unter kreativer Interpretation der Gesetze Anspruch auf Rechtstreue, bzw. zumindest fehlendes Unrechtsbewusstsein erheben zu können.“  Konkret machte sie das Konzept am Beispiel des bekannten Cum-Ex-Skandals verständlich. In diesem Fall spielte die Rechtsberatung der Akteure durch externe Kanzleien eine ganz zentrale Rolle. Vor Ausführung der tatrelevanten Handlung wurden von renommierten Kanzleien Gutachten über die vermeintliche Zulässigkeit eingeholt, in Sommerers Worten also „Ex-Ante-Rechtsgutachten“. Damit erst konnten die an diesen Geschäften Beteiligten im Grenzbereich der Legalität gegenüber Investoren, der Finanzverwaltung oder Strafverfolgungsbehörden scheinbar den Anspruch auf Rechtstreue erheben. Mittlerweile wurde gegen Mitarbeiter einer dieser Kanzleien bereits Anklage wegen der „Erstellung von Gefälligkeitsgutachten“ erhoben. Wie es zu einem solchen fundamentalen Versagen des Compliance-Systems kommen konnte, ist bislang nicht aufgeklärt worden. Ein wichtiger Grund ist höchstwahrscheinlich, dass die beauftragten Kanzleien ein „Honorarinteresse“ haben, also ein starkes Bestreben, sich einen Mandanten für die Zukunft zu erhalten, und in der Folge gegenüber ihren Mandanten weitgehend gefällig sind.

Allgemeiner gesprochen bieten sich drei Theorien als Erklärungsversuche an. Der sog. Subkulturtheorie folgend könnte eine vorherrschende Wertorientierung im Unternehmen ein Verhalten, das auf das Anhäufen von Vermögen um jeden Preis, oder das „Austricksen“ des Staates abzielt, gefördert haben. Mit sog. Neutralisationstechniken sind zudem innere Rechtfertigungstechniken für Kriminalität zur Vermeidung eines Schlechten Gewissens gemeint, man spricht hier auch von kognitiver Dissonanz oder moralischer Entkoppelung.

Wie kann man mit dieser Problematik nun effektiv umgehen? Dr. Sommerer schlägt hierfür die Einrichtung einer „Kriminologie der Straftatvermeidung“ vor. Dabei geht es nicht darum, den Blick der Kriminologie auf jegliches auch nur irgendwie ethisch fragwürdige Verhalten unendlich auszudehnen. Vielmehr geht es um eine Blickschärfung bzw. eine Fokussierung auf Handlungen im Grenzgebiet der Legalität.

Prof. Dr. Jun Zhao thematisierte in seinem Vortrag, wie China empirische Studie zur Anti-Korruptions-Compliance durchführt. Ein Fall mit vergleichbarer Tragweite wie der deutsche Cum-Ex-Skandal war der Korruptionsskandal um den Telekommunikationskonzern ZTE. Um solche Fälle in Zukunft zu verhindern, hat China auch auf wissenschaftlicher Ebene seine Anstrengungen erhöht, um die Compliance in Unternehmen zu stärksten. Am anfälligsten für ein solches Fehlverhalten sind Zhao zufolge die Verwaltungsmitarbeiter in den Konzernen. Im Folgenden beschreibt er eine großflächige empirische Untersuchung, die stichprobenartig in 171 Unternehmen in verschiedenen Städten und aus verschiedenen Branchen (von Finanzen bis Handel) im ganzen Land durchgeführt wurde. Zielpersonen waren dabei über 5.000 Verwaltungsangestellte ab dem mittleren Hierarchie-Level, das Verhältnis zwischen Mann und Frau war ausgeglichen und das Bildungsniveau war ebenfalls vergleichbar. Den Personen wurden 36 vorher festgelegte Fragen gestellt, auf deren Basis die folgenden wichtigsten Erkenntnisse gezogen wurden: Der Studie zufolge verfügt das System zur Korruptionsbekämpfung in chinesischen Unternehmen über ein gewisses Grundgerüst an Organisation, System und Mechanismen, d.h. zum Beispiel, dass über 70 Prozent der befragten Unternehmen über eine Abteilung, die für die Einhaltung der Korruptionsbekämpfungsvorschriften zuständig ist, verfügen und es klare Prozesse gibt, um Verstöße zu melden. Andererseits ist das Gesamtniveau der Compliance-Systeme zur Bekämpfung von Korruption in China aber immer noch deutlich ausbaufähig: So verfügen bspw. nur etwa 30 Prozent der befragten Unternehmen über „ein Handbuch für Mitarbeiter zur Korruptionsbekämpfung“ oder organisieren „entsprechende Schulungen und Fortbildungen". Auch lässt sich aus den Antworten bei chinesischen Managern eine relativ hohe Toleranz gegenüber Bestechung und eine geringe Motivation, Bestechung zu melden, ablesen. Die weitere Verbesserung des Geschäftsumfelds für Unternehmen - insbesondere für Privatunternehmen – bleibt deshalb eine wichtige Voraussetzung für die Förderung des Aufbaus eines Systems zur Bekämpfung von Bestechung.

Prof. Dr. Su Jiang: referierte über die strafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen und Criminal Compliance. Im Jahr 1979 hat China sein erstes Strafgesetzbuch veröffentlicht, das aber noch nichts Konkretes zu juristischen Personen enthielt. Dies erfolgte erst in den 1980ern, als 136 Straftaten für juristische Personen formuliert wurden (heute: 164). Das Kernprinzip bei Chinas Ansatz ist, dass man streng klären muss zwischen der Schuld einer Unternehmenseinheit und der Schuld einer Einzelperson innerhalb dieser Einheit. Die Strafbarkeit richtet sich dann nach der jeweiligen Verantwortlichkeit für das Vergehen. Chinas Gesetzgeber haben im Laufe der Jahre verschiedene Kategorien definiert, so können zum Beispiel „reine Einheitsstraftaten“ nur von Unternehmen begangen, „nicht reine Einheitsstraftaten“ dagegen sowohl von Unternehmen als auch von (natürlichen) Einzelpersonen begangen werden. Weiterhin wird nach fahrlässigen und vorsätzlichen Straftaten unterschieden, wobei bei fahrlässigen Delikten nur die Einzelpersonen schuldig sein kann. Im weiteren Verlauf betonte Prof. Su, dass China seit den 1980er Jahren parallel zur Häufung von bekannt gewordenen Bestechungsfällen die Compliance-Vorschriften, vor allem in großen Unternehmen, gestärkt hat. Dies erfolgte vor allem mit einzelnen Pilotprojekten, die dann im Erfolgsfall teilweise landesweit übernommen wurden. Ein wichtiger „Weckruf“ war der Skandal um Nestle, bei dem 2017 sechs ehemalige Mitarbeiter wegen illegaler Datenbeschaffung zu Haftstrafen verurteilt wurden. Prof. Su rät, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen, die Reformen voranzutreiben, um somit in Zukunft noch bessere Ergebnisse zu erzielen.

In Ihrem Vortrag beleuchtete Prof. Dr. Papathanasiou das Thema „Unternehmensstrafbarkeit und Criminal Compliance“ aus rechtsvergleichender Sicht am Beispiel des Fürstentums Liechtenstein. Einleitend hob sie hervor, dass die Verantwortlichkeit juristischer Personen erst im Jahr 2010 im Strafgesetzbuch gesetzlich geregelt wurde, um mit internationalen Richtlinien übereinzustimmen. Ein wichtiges Motiv war dabei, die effektive Bekämpfung bzw. Prävention von Geldwäsche. Die neuen Reglungen besagen, dass die Verbandsverantwortlichkeit sowohl aufgrund der Tatbegehung durch eine Leitungsperson als auch aufgrund der Tatbegehung durch unterstellte Mitarbeiter entstehen kann, sofern eine Überwachungspflichtverletzung im weiteren Sinne auf Seiten der Leitungsebene die Tatbegehung zumindest wesentlich erleichtert hat. Auch der Begriff „juristische Person“ wird im neuen Gesetzestext explizit definiert und umfasst sowohl im Handelsregister eingetragene juristische Personen als auch Stiftungen und Vereine. Diese juristischen Personen sind - soweit sie nicht in Vollziehung der Gesetze handeln - verantwortlich für Vergehen und Verbrechen, die in Ausübung geschäftlicher Verrichtungen im Rahmen des Zwecks der juristischen Person von Leitungspersonen als solchen rechtswidrig und schuldhaft begangen werden. Eine wichtige Voraussetzung für das Thema „Criminal compliance“ ist das explizite „Organisationsverschulden“ der juristischen Person. Konkret heißt es dazu im Gesetz, dass die Voraussetzung für die strafrechtliche Verantwortlichkeit der juristischen Person die tatbestandsmäßige und rechtswidrige Begehung eines Vergehens oder Verbrechens durch einen oder mehrere Mitarbeiter in Ausübung geschäftlicher Verrichtungen im Rahmen des Zwecks der juristischen Person ist. Weiter heißt es, „wenn die Begehung der Tat dadurch ermöglicht oder wesentlich erleichtert worden ist, dass Leitungspersonen im Sinne des Abs. 3 es unterlassen haben, die erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen zur Verhinderung derartiger Anlasstaten zu ergreifen.“ Letzteres meint also, dass die juristische Person es unterlassen hat, ein adäquates Risikomanagement durch ihre Leitungspersonen einzuführen bzw. sicher zu stellen. Sofern eine juristische Person für eine Anlasstat verantwortlich ist, ist über sie eine sog. Verbandsgeldstrafe zu verhängen, die nach Maßgabe des gegenüber der juristischen Person erhobenen Vorwurfs verhängt wird. Sie soll einen „sozialethischen Tadel“ zum Ausdruck bringen und verfolgt den primären Zweck der Prävention.

Die Einführung dieser Reglungen sind bedeutend, da das Fürstentum Liechtenstein zwar klein in geografischer Hinsicht ist, aber bemerkenswert groß und wichtig als Finanzort. Daher ist es Prof. Prof. Dr. Papathanasiou zufolge richtig und wichtig, sowohl die Unternehmensstrafbarkeit als auch die criminal compliance umfassender und tiefer zu erforschen.

 

Autor: Ole Engelhardt