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Internationale Konferenz in der Provinz Zhejiang
Bildung für nachhaltige Entwicklung und praxisorientiertes Lernen in Deutschland und China

Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) gibt Menschen Kompetenzen für ein zukunftsfähiges Handeln mit auf ihren Lebensweg. Eine Konferenz, die sich um praktisches und projektorientiertes Lernen an chinesischen Grundschulen drehte, nutzte das Projektbüro Zhejiang der Hanns-Seidel-Stiftung, um deutsche BNE-Erfahrungen mit chinesischen Lehrern, Lehrerfortbildnern und Wissenschaftlern zu teilen.

Bildungspolitischer Hintergrund in China

Chinesische Lehrer und Schüler sind mit dem Bildungsideal einer ganzheitlichen Entwicklung unter Einbezug "moralischer, intellektueller, körperlicher, sozialer, ästhetischer und arbeitspraktischer" Aspekte seit Langem vertraut.

 

Da eine sinnstiftende Arbeit als menschliches Grundbedürfnis angesehen werden kann, sind Praxiselemente wichtiger Teil einer ganzheitlichen Ausbildung junger Menschen. In China soll aktivem und gestaltendem Lernen in Zukunft daher eine gewichtigere Rolle im Schulalltag zukommen.

 

Hören sie den in China verbreiteten Begriff der „arbeitspraktischen Erziehung“, denken viele Chinesen an ihre Kindheit zurück, als sie in der Schule Putzdienst leisteten, ihre Eltern bei der Hausarbeit unterstützten oder gar auf dem Feld mithalfen. Ein moderner Begriff des aktiven und praxisorientierten Lernens, sowie von dessen Inhalten und pädagogischen Handlungsmaßgaben sind dagegen noch weitgehend unbekannt.

 

Um mehr Klarheit zu diesen Fragen zu schaffen, hat das chinesische Bildungsministerium den „Leitfaden für die arbeitspraktische Bildung an Schulen und Universitäten (zur probeweisen Umsetzung)“ herausgegeben. Das Dokument richtet sich in erster Linie an die Schulen, präzisiert bestehende Regelungen und soll fachliche Anleitung geben.

 

In dem Entwurf wird als Merkmal dieser Form der Bildung genannt, dass "physische Aktivität im Mittelpunkt einer gleichzeitigen Betätigung von Körper und Geist steht." Außerdem werden konkrete Anforderungen an die Inhalte und die Dauer praktischer Unterrichtselemente an Schulen und Universitäten festgelegt.

 

Ein Obst- und Kräutergarten dient in Nürnberg als außerschulischer BNE-Lernort

Deutsche Anregungen zum Thema Bildung für nachhaltige Entwicklung

Während sich die Begrifflichkeiten und damit auch die pädagogischen Inhalte und Zielsetzungen in Deutschland und China voneinander unterscheiden, werden auch in Deutschland Kinder zu einer aktiven Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt angeregt. Beispiele sind etwa Schulgärten oder auch der Werkunterricht.

In Deutschland geht es heute aber in erster Linie nicht darum, dass Kinder das Arbeiten lernen, sondern, darum, dass sie die nötigen Kompetenzen für zukunftsfähiges Handeln erlangen. In Zeiten des globalen anthropogenen Klimawandels bedeutet das nicht zuletzt, dass Kinder sich von klein auf mit Fragen ökologischer Nachhaltigkeit auseinandersetzen und sich ihrer individuellen und gesellschaftlichen Verantwortung für den Erhalt eines intakten Ökosystems klarwerden.

Dr. Christian Büttner, Leiter des Instituts für Pädagogik und Schulpsychologie Nürnberg, fordert, den Schülern ein ganzheitliches Bild der Natur zu vermitteln: „In Deutschland wie in Hangzhou kennen Kinder Gemüse teilweise nur aus dem Supermarkt, ohne zu wissen, was sich dahinter verbirgt. Tomaten und Weintrauben beispielsweise kennen Sie nur aus Plastikverpackungen und sie machen sich keine Vorstellung davon, wie viel Arbeit und Ausdauer in den Anbau investiert werden müssen.“

Abenteuer Stadtna(H)tur ist Projekt, in dem Kinder die Natur in ihrer unmittelbaren Lebensumgebung erkunden

Die Provinz Zhejiang ist seit vielen Jahren chinaweit ein Vorreiter in den Bereichen Lehrplanreform und Lehrerausbildung und hat Modellcharakter für andere Provinzen.

So kamen am 6. November 2021 in der Provinzhauptstadt Hangzhou auf einer groß angelegten Konferenz zum Thema „Arbeitspraktisches Lernen in städtischen Grund- und Sekundarschulen in interdisziplinärer Betrachtung" zahlreiche Experten aus ganz China zusammen, um ihre Erkenntnisse und Ideen auszutauschen. Schulleiter und Lehrer vieler Schulen in Hangzhou stellten zudem neue Ansätze aus der Unterrichtspraxis vor.

Derzeit lässt sich eine rasante Entwicklung der Digitalwirtschaft beobachten. In den Bereichen Internet und Internet der Dinge verfügt Hangzhou, wo unter anderem der Hauptsitz des chinesischen Internetgiganten Alibaba angesiedelt ist, über einen klaren Standortvorteil. Entsprechend dieser lokalen Bedingungen haben Grund- und Sekundarschulen im Stadtteil Binjiang eine Reihe außerschulischer Praxisaktivitäten eingeführt. Beispiele für diese sogenannten „Smart-Work-Projekte“ sind die Arbeitsgruppen "ökologische Technologie", "digitaler Bauernhof", "kreative Fertigung", "intelligente Dienstleistungen ", "innovative Logistik" sowie "das Wohnviertel der Zukunft".

Die Vorstellung praktischer Projekte stand im Zentrum der Konferenz

Lernen mit allen Sinnen

In seiner Videopräsentation zum Thema "Lernen mit allen Sinnen" teilte Dr. Büttner seine Erfahrungen aus Deutschland, indem er Beispiele für die Entwicklung von Kompetenzen im Kontext einer Bildung für Nachhaltige Entwicklung vorstellte und anregte, dass die Schüler alle ihre Sinne in den Lernprozess einbeziehen sollten, um ein ganzheitliches Lernen zu erreichen.

Anhand der Beispiele eines schulischen Bauerngartens, der "Energie- und Umweltstation" des Instituts für Pädagogik und Schulpsychologie Nürnberg sowie durch das Nürnberger Projekt "Abenteuer Stadtna(h)tur" wurde aufgezeigt, wie Schüler das Wachstum von Pflanzen mit allen Sinnen wahrnehmen können, wie Sie ihre Umwelt erkunden, und dabei auch lernen, dass nicht alle Pflanzen Unkraut und nicht alle Tiere Ungeziefer sind. Im Gegenteil: Die Schüler setzen sich mit der Natur auseinander und lernen den Wert der verschiedenen Pflanzen und Tiere für ein intaktes Ökosystem kennen.

Dr. Büttner erläuterte, dass die Schüler so einen ganzheitlichen Blick auf die Natur bekommen. Sie werden angeleitet, sich über einen längeren Zeitraum intensiv mit einem Thema zu befassen. In diesem Rahmen können auch Lese- und Fachkompetenzen, psychische Belastbarkeit und Ausdauer entwickelt werden. Soziale Kompetenzen werden durch Gruppenarbeit mit anderen Schülern gefördert.

Laut Ass. Prof. Chen Xiaoping, BNE-Expertin beim Lehrerfortbildungszentrum der Provinz Zhejiang, werden in deutschen Grundschulen praktische Lernelemente in den Rahmen einer Bildung für Nachhaltige Entwicklung integriert. Ein Schwerpunkt liegt dabei darauf, wie Lehrer die Schüler dazu anleiten, sich mit vollem Einsatz von Körper und Geist in den Projektunterricht einzubringen.

Die Konferenz wurde live im Internet übertragen und erreichte insgesamt mehr als 240.000 Klicks.

 

Autorin: Yu Yi

Übersetzer: Dominik Sprenger