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Chinas Arbeitsmarkt im Wandel
Berufliche Bildung im Zeitalter der Digitalisierung

Um das auf dem 19. Parteitag im Oktober 2017 erklärte Ziel einer ausgeglichenen gesellschaftlichen Entwicklung zu erreichen, muss China seine Bildungsreformen weiter vorantreiben. Eine wichtige Rolle spielen hierbei Hochschulen für angewandte Wissenschaften.

Chinas wirtschaftliche Entwicklung stellt das Land vor Chancen und Herausforderungen von historischer Tragweite. Im eigenen Verständnis noch immer ein Entwicklungsland, scheint es nur eine Frage der Zeit, wann die Volksrepublik die USA als weltweit größte Wirtschaftsmacht ablösen wird. Der derzeitige Rückzug der Vereinigten Staaten aus ihrer globalen Verantwortung schafft für China zwar neue geopolitische Freiräume, Trumps kompromissloser Handelsprotektionismus verstärkt jedoch gleichzeitig den ohnehin schon hohen Reformdruck auf die chinesische Wirtschaft.

 

Abschied von der „Werkbank der Welt“

Seit dem Jahr 2014 beschreibt der von Präsident Xi Jinping geprägte Begriff des „Neuen Normalzustands“ eine im Vergleich zu vorangegangenen Jahrzehnten leicht gebremste wirtschaftliche Dynamik mit Wachstumsraten von „nur“ noch rund sechs bis sieben Prozent. Heute geht es China weniger um schnelles Wachstum, sondern immer mehr um eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung. China will nicht mehr die „Werkbank der Welt“ sein, sondern Vorreiter für die Industrie der Zukunft.

 

So steht der wirtschaftliche Strukturwandel ganz oben auf der politischen Agenda. In Feldern wie Erneuerbare Energien, Automatisierung und Smartphone-Technologie hat China bereits beachtliche Fortschritte erzielt und zahlreiche neue Jobs mit besserer Bezahlung, besserem Arbeitsschutz und geringeren ökologischen Folgewirkungen geschaffen.

Bildung als Innovationstreiber

Doch es bleibt viel zu tun. Um neue Industrien nachhaltig zu fördern und so noch mehr Menschen am wirtschaftlichen Aufschwung teilhaben zu lassen, muss ein fortschrittliches und gerechtes Bildungssystem Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten gleiche Chancen bieten. Nur wenn jeder Mensch die Möglichkeit hat, sein Potential voll auszuschöpfen, setzt sich Leistung am Ende durch.

 

In Deutschland spielt das praxisorientierte duale Ausbildungssystem eine entscheidende Rolle in der Gewährleistung wirtschaftlicher Prosperität und sozialer Gerechtigkeit. Gerade in diesen Feldern hat China noch großen Nachholbedarf und ist dementsprechend interessiert, von Deutschland zu lernen.

 

Schon seit Beginn der 1980er Jahre arbeitet die Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) mit dem chinesischen Bildungsministerium zusammen, um Reformen im Bildungswesen voranzubringen. Von Fortbildungen für Berufschullehrer bis hin zur Digitalisierung orientiert sich die HSS seit knapp 40 Jahren immer an den Bedürfnissen vor Ort und den Erfordernissen der Zeit.

 

Während früher deutsche Experten direkt in die Schulungsräume gingen, um didaktisches und fachliches Wissen an lokale Ausbilder weiterzugeben, werden jetzt verstärkt Netzwerke gepflegt, um auf möglichst hoher, systemischer Ebene Bildungsreformen anzuregen und Kooperationen zu implementieren.

Gemeinsam für die Bildung der Zukunft

Im Juli 2018 veranstaltete die HSS mit Unterstützung des chinesischen Bildungsministeriums in Zusammenarbeit mit der Fremdsprachenuniversität Peking eine Konferenz zum Thema „Hochschulen für Angewandte Wissenschaften im Zeitalter der Digitalisierung“. Dabei diskutierten deutsche und chinesische Experten aus Wirtschaft und Wissenschaft Wege zur Deckung des Fachkräftebedarfs in einer sich rasant verändernden industriellen Landschaft.

 

China kämpft seit einiger Zeit mit einer Schwemme an Universitätsabsolventen mit arbeitsmarktferner Ausbildung. Während Hochschulen für angewandte Wissenschaften in China derzeit noch ein neues Konzept darstellen, kann deren enge Ausrichtung an den Erfordernissen des Arbeitsmarkts einen wichtigen Beitrag zur Reduzierung der Akademikerarbeitslosigkeit leisten.

 

Hierzu müssen Hochschulen und Unternehmen Hand in Hand arbeiten. Oskar Heer, Personalchef bei Daimler in China, erklärte, dass fast jeder Ausbildungsbereich in seinem Konzern mit einer Hochschule kooperiert. Dabei können Teilzeit-Professoren, die gleichzeitig an Hochschule und Unternehmen arbeiten, als zentrale Schnittstelle für den Transfer von anwendungsorientiertem Wissen dienen.

 

Laut Umfragen unter deutschen Arbeitgebern zählt heute die Digitalkompetenz zu den am meisten nachgefragten Qualifikationen in fast allen technischen Berufen. Digitalisierung kann daher nicht länger als eigenständige Disziplin betrachtet werden, sondern muss Teil jedes einzelnen Unterrichtsfachs werden, so Professor Klaus Kreulich, Vizepräsident der Hochschule München.

 

Zur Institutionalisierung der Zusammenarbeit auf gesellschaftlicher Ebene können deutsch-chinesische Hochschulkooperationen einen wichtigen Beitrag leisten. Ein Beispiel hierfür ist die von der Stadtverwaltung der südchinesischen Wirtschaftsmetropole Shenzhen neu gegründete Technische Universität. In enger Abstimmung mit den Bildungsexperten der HSS passt sie das deutsche Modell der Hochschulen für angewandte Wissenschaften an die lokalen Bedingungen an. Zudem schafft sie eine Plattform für Studierendenaustausch durch Auslandssemester und Praktika, von der Deutsche wie Chinesen gleichermaßen profitieren.

 

Deutschland und China sind mit sehr ähnlichen Herausforderungen konfrontiert. Die zunehmende Digitalisierung revolutioniert die Arbeitswelt und führt zu Veränderungen in Berufsstrukturen und Arbeitsanforderungen. Bildungseinrichtungen stehen vor wachsenden Schwierigkeiten, den zukünftigen Bedarf an gut ausgebildeten Fachkräften zu decken. Deshalb, so die Vorsitzende der HSS, Professorin Ursula Männle, wird „gerade in Zeiten verstärkter internationaler Vernetzung und Digitalisierung die bilaterale Zusammenarbeit zwischen China und Deutschland im Bildungsbereich zum beidseitigen Nutzen weiter an Bedeutung gewinnen“.

Autor: Dominik Sprenger