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Angelika Niebler auf Informationsreise in der VR China

Auf Einladung der chinesischen Freundschaftsgesellschaft hielt sich vom 18. bis 21. Juli 2016 die stellvertretende CSU-Vorsitzende Dr. Angelika Niebler in China auf. Auf Veranstaltungen in Peking und Shandong sowie bei Besuchen von Unternehmen, Schulen und Projekten der HSS konnten die Beziehungen Chinas zur EU und Deutschland sowie der wirtschaftliche Strukturwandel beleuchtet werden.

In Peking organisierte die Gesellschaft des Chinesischen Volkes für Freundschaft mit dem Ausland (Freundschaftsgesellschaft) in Zusammenarbeit mit der Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) zum Auftakt des Besuches ein Forum zum Thema „Die EU und China – Für ein konstruktives Miteinander“.

Grußrede von Song Jingwu

Plädoyer für ein konstruktives Miteinander

Song Jingwu, Vizepräsident der Freundschaftsgesellschaft, ging in seinem Grußwort vor geladenen Gästen aus Politik, Wissenschaft und Kultur auf die strategische Partnerschaft zwischen China und der EU ein, die sowohl auf regelmäßigem politischem Dialog als auch auf zunehmendem kulturellen und gesellschaftlichen Austausch basiert. Song würdigte dabei die wichtige Rolle Deutschlands in dieser Entwicklung, zu der auch das langjährige Engagement der HSS in China beigetragen hat. Da aktuelle Herausforderungen neue Fragen aufwerfen, bleibt der intensive Austausch auch weiterhin von größter Wichtigkeit.

Die stellvertretende Parteivorsitzende der CSU und Vorsitzende der CSU-Europagruppe sowie Co-Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament Dr. Angelika Niebler betonte in ihrem anschließenden Vortrag ebenfalls die Bedeutung einer engen Zusammenarbeit mit China. Die Grundlage dafür bildet eine kontinuierliche Analyse der jeweiligen Interessenslagen. Es muss immer wieder aufs Neue gefragt werden, so Niebler, was China und Europa verbindet, wo unterschiedliche Interessen vorliegen und wo sich trotz unterschiedlicher Interessen Gemeinsamkeiten finden lassen. In diesem Zusammenhang verwies sie auf die 2013 zwischen der EU und China erarbeitete gemeinsame strategische Agenda für die Zusammenarbeit bis 2020, deren Ziel die Intensivierung des Austauschs in den vier Bereichen Frieden und Sicherheit, Wohlstand, nachhaltige Entwicklung und Austausch der Bevölkerung ist. „Diese Zusammenarbeit lebt, die Agenda ist mit Leben erfüllt worden“, so Niebler. Erst vor kurzem hat man sich auf dem 18. EU-China Gipfeltreffen auf weitere Zielsetzungen geeinigt. Neben der wirtschaftlichen Zusammenarbeit wünscht sich die EU insbesondere im Bereich Forschung und Entwicklung sowie im Klima- und Umweltschutz eine engere Kooperation.

Niebler wies aber darauf hin, dass es im Rahmen der Zusammenarbeit auch kontroverse Punkte gibt, die offen diskutiert werden müssen. Als Beispiel nannte sie die bis Ende 2016 zu klärende Frage nach der Anerkennung des Marktwirtschaftsstatus für China durch die EU. Hier vertreten China und die EU unterschiedliche Standpunkte, sowohl was die rechtliche Bewertung als auch was die wirtschaftlichen Aspekte anbelangt. Das europäische Parlament hat sich nach vielen Diskussionen in unterschiedlichen Fachausschüssen im Mai gegen die Anerkennung Chinas als Marktwirtschaft ausgesprochen, unter anderem deshalb, weil staatlich subventionierte Exporte aus China die Existenz ganzer Industrien, etwa der Stahlbranche, in Europa gefährden. Niebler betonte die Notwendigkeit, im gegenseitigen Dialog eine vernünftige Lösung zu finden. Sie versicherte, dass aus europäischer Sicht nicht Marktprotektionismus, sondern ein faires Miteinander das Ziel der Verhandlungen ist.

Vortrag von Angelika Niebler

Terrorismus und Migration bestimmen die europäische Agenda

Anschließend ging Niebler auf Lösungsansätze für einige der großen Herausforderungen ein, mit denen sich Europa derzeit konfrontiert sieht. Angesichts der Zunahme an Terroranschlägen richtet sich das Augenmerk aktuell auf den Kampf gegen den internationalen Terrorismus: „Die Anschläge in Frankreich haben uns ins Herz getroffen, weil sie die Zivilbevölkerung zum Ziel hatten und an Orten ausgeübt wurden, die für unser liberales freiheitliches Wertefundament stehen.“ Um mit aller Härte und Nachdruck gegen Terroristen vorgehen zu können, bedarf es einer noch engeren Zusammenarbeit zwischen Polizei, Staatsanwaltschaft, Gerichten und Geheimdiensten. Es hat sich gezeigt, dass man nur erfolgreich ist, wenn man international gemeinsam handelt, so Niebler, weshalb sie es begrüßen würde, auch in diesem Bereich enger mit China zusammenzuarbeiten.

Neben dem Terrorismus bestimmt in den letzten Monaten vor allem der immense Migrationsdruck die Agenda der Europäischen Union. 2015 flohen mehr als eine Millionen Menschen vor Krieg und Terror aus dem Mittleren Osten und Afrika nach Europa. Deutschland war und ist dabei eines der Hauptziele der Flüchtlinge und Asylbewerber. Die CSU hat die Entscheidung der Bundeskanzlerin vom September 2015, auf eine „Willkommenskultur“ gegenüber den Flüchtlingen zu setzen, von Anfang an kritisiert. Durch die Krise ist das Vertrauen vieler Menschen in die Fähigkeit des Staates, die Grenzen des Landes zu schützen, verloren gegangen, so Niebler. Während zwischenzeitlich alleine in München bis zu 13.000 Menschen pro Tag angekommen waren, hat sich die Situation aufgrund von Anpassungen in der Asylgesetzgebung, schärferen Kontrollen, Rückführung von Flüchtlingen sowie die Schließung der Balkanroute mittlerweile entschärft. Dennoch soll laut Prognosen die Zahl der Migranten, die insbesondere aus Nordafrika nach Europa aufbrechen, in den nächsten Jahren weiter hoch bleiben. Die CSU fordert deshalb, einerseits die Staaten Nordafrikas stärker zu unterstützen und andererseits zukünftig nur noch Asylbewerber und Flüchtlinge aus Bürgerkriegsregionen aufzunehmen. Da ein Land alleine die derzeitige Situation nicht bewältigen kann, ist auch in der Flüchtlingsfrage eine europäische Lösung notwendig, so Niebler weiter. Die Situation in Syrien und Irak verlangt ebenfalls nach internationaler Zusammenarbeit und internationalen Lösungen. Niebler brachte die Hoffnung zum Ausdruck, dass China, das international als ehrlicher Vermittler geschätzt wird, zu einer Stabilisierung der Lage beitragen kann.

Arbeitslosigkeit und EU-Müdigkeit als strukturelle Probleme

Als dritte Herausforderung machte Niebler die hohe Arbeitslosigkeit in Südeuropa aus, von der insbesondere Jugendliche betroffen sind. Oberste Aufgabe der EU ist es, den jungen Menschen eine Perspektive zu geben und alles daran zu setzen, das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Der Schlüssel zum Erfolg liegt hier in der Bildung.

Den Einfluss des „Brexits“ auf die EU bewertet Niebler für beide Seiten sehr negativ. Spaltungen zwischen den einzelnen Landesteilen des Vereinigten Königreichs und innerhalb der Gesellschaft stellen die neue Premierministerin May vor die schwierige Aufgabe, das Land wieder zusammenzuführen. Für die EU bedeutet das Ausscheiden Großbritanniens, der zweitgrößten Volkswirtschaft der EU, nicht nur den Verlust eines starken Handelspartners. Es bedeutet auch, dass die Politik darüber nachdenken muss, warum so viele Menschen der EU derart kritisch gegenüberstehen. Einer der Hauptgründe für die EU-Müdigkeit ist nach Nieblers Einschätzung der Eindruck, die EU kümmere sich schwerpunktmäßig um die Regulierung des täglichen Lebens und zu wenig um Belange, die die Bürger selbst als wichtig empfinden. Um eine weitere Entfremdung zu verhindern muss es deshalb dringend zu einer Neuauslotung der Kernaufgaben der europäischen Institutionen kommen, so Niebler abschließend.

Angelika Niebler und Lü Hongwei von der Freundschaftsgesellschaft

Angelika Niebler und Lü Hongwei von der Freundschaftsgesellschaft

Ein stabiles Europa ist im chinesischen Interesse

Im anschließenden Gespräch betonte Song erneut die Bedeutung des direkten Austauschs zwischen Vertretern Chinas und der EU zur weiteren Verbesserung des gegenseitigen Verständnisses. Auch Niebler ist überzeugt, dass die theoretische Beschäftigung mit China nicht den direkten Kontakt vor Ort ersetzen kann. Song sieht von chinesischer Seite aktuell vor allen Dingen in den Bereichen Umweltschutz und Abbau von Überkapazitäten in der Industrie Interesse, von Europas Erfahrungen zu lernen. Einige der von Niebler angesprochenen Probleme, mit denen Europa derzeit konfrontiert ist, führte Song auf die zu schnelle Erweiterung der EU zurück. Da ein starkes und stabiles Europa auch für China von großer strategischer Bedeutung ist, hegt die Mehrheit der Chinesen, inklusive der Regierung, die Hoffnung, dass die von Niebler erwähnten Herausforderungen sowie die Auswirkungen des Brexit so schnell wie möglich bewältigt werden können. Allerdings werden mittlerweile auch in China vereinzelt Stimmen laut, die davon ausgehen, dass ein Einflussverlust der Europäischen Union auch Chancen für die Mitgliedsstaaten bergen würde.

Gespräch mit Song Yuanfang in Jinan

Gespräch zur Zusammenarbeit zwischen Shandong und Bayern

In Jinan, der Hauptstadt der ostchinesischen Provinz Shandong, besuchte Niebler am darauf folgenden Tag den Volkskongress und traf sich zum Gespräch mit Song Yuanfang, dem für die internationale Zusammenarbeit zuständigen Vizevorsitzenden des Ständigen Ausschusses des Volkskongresses. Zunächst stellte Song die Arbeit und Aufgaben des Volkskongress vor. Dieser tagt einmal im Jahr. In der sitzungsfreien Zeit führt der Ständige Ausschuss, der 72 Mitglieder umfasst, die Geschäfte. Das Amt des Ausschusspräsidenten wird vom Parteisekretär der Provinz ausgeübt. Die vier Hauptfunktionen des Volkskongresses sind die Gesetzgebung, die rechtliche Überwachung und Kontrolle der Arbeit der Regierung und der Gerichtshöfe auf Provinzebene, Entscheidungen über wichtige Angelegenheiten, wie zum Beispiel die Prüfung und Genehmigung von Regierungsberichten, sowie die Ernennung wichtiger Amtsträger.

Die Provinz Shandong: Shandong liegt etwa 400 Kilometer südöstlich von Beijing an der chinesischen Ostküste. Die Provinz am Unterlauf des Gelben Flusses ist etwa halb so groß wie Deutschland. Das Bruttoinlandsprodukt beträgt rund 8.100 Euro pro Kopf und ist bei einer Einwohnerzahl von circa 98 Millionen in absoluten Zahlen das dritthöchste in ganz China. Zwischen 1898 und 1914 waren Teile der Provinz Kolonie des Deutschen Reiches. Bis heute bestehen enge Verbindungen nach Deutschland, unter anderem über eine 1987 besiegelte Partnerschaft mit dem Freistaat Bayern.

Seit 30 Jahren besteht eine Partnerschaft zwischen Shandong und Bayern, bei deren Ausgestaltung die HSS laut Song eine zentrale Rolle spielt. Insbesondere bei der Sicherung von Arbeitsplätzen im ländlichen Raum, etwa im Rahmen des Projekts zur Dorfentwicklung in Nanzhanglou, leistet die Stiftung einen wichtigen Beitrag, der seitens der Provinzregierung hoch geschätzt wird. Eine Verstärkung der Zusammenarbeit wäre deshalb aus Sicht Songs wünschenswert. Auch für Niebler ist eine Ausweitung der Zusammenarbeit durchaus vorstellbar, etwa in den Bereichen Digitalisierung der Industrie, Bildung sowie beim Austausch auf gesellschaftlicher Ebene.

Die Delegation in Nanzhanglou

Modellprojekt zur Ländlichen Entwicklung

Bei der Besichtigung des Dorfes Nanzhanglou, in dem 1990 das erste Pilotprojekt der HSS zur Dorfentwicklung und Flurneuordnung begonnen wurde, erhielt Niebler Einblicke in die konkrete Arbeit der HSS in der Provinz Shandong. Bürgermeister Yuan Xiangsheng erläuterte im Gespräch, dass das Erfolgsgeheimnis des Projekts darin liegt, dass anders als in anderen chinesischen Dörfern die Dorfbewohner in Nanzhanglou von Beginn an in die Planungen einbezogen waren. Der Wegfall von Arbeitsplätzen in der Landwirtschaft konnte durch Diversifizierung, berufliche Qualifizierungs- und Infrastrukturmaßnahmen aufgefangen werden. Die dadurch erreichte Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen trug dazu bei, die Abwanderung der Bevölkerung, die in vielen Regionen Chinas ein Problem darstellt, zu verhindern. Mittlerweile hat sich das Dorf in ein Projekt mit landesweitem Modellcharakter verwandelt, das Besucher aus allen Teilen Chinas anzieht, so Yuan. Niebler verwies darauf, dass Bürgerbeteiligung auch in Bayern Grundlage erfolgreicher Politik ist und ähnlich wie in Nanzhanglou die regionale Verwurzelung zum Erfolgsgeheimnis der Politik der CSU gehört.

Besuch eines IT-Unternehmens in Jinan

Rasante Entwicklung Chinas im Bereich IT und erneuerbare Energien

Der Besuch zweier Unternehmen zum Abschluss der Reise zeigte beispielhaft, dass die strategische Neuausrichtung der chinesischen Wirtschaft in Richtung Digitalisierung und Energieeffizienz auch abseits der Megastädte in vollem Gange ist. So ist das IT-Unternehmen Inspur mit Sitz in Jinan nicht nur einer der wichtigsten Hard- und Softwareentwickler Chinas, sondern bietet mittlerweile mit Partnern in 102 Ländern und Regionen weltweit Lösungen im Bereich Cloudcomputing für Industrieunternehmen an. In der kreisfreien Stadt Qingzhou wiederum hat sich mit dem Lishan College der Shandong Normal University eine private Berufsschule angesiedelt, die sich ganz auf die Nutzung erneuerbarer Energien konzentriert. Entsprechende Technik der an der Schule ansässigen Firma Shandong Lucy New Energy Technology Co., wie solarbetriebene Klimaanlagen, Hackschnitzelöfen und Kraft-Wärme-Kälte-Kopplungen kommen direkt auf dem Schulgelände zum Einsatz, sodass das Schulgebäude – als einziges in ganz China – vollständig durch erneuerbare Energie beheizt und gekühlt wird.

Der Erfolg dieser Unternehmen macht nach Niebler nicht nur die großen Übereinstimmungen in der Wirtschaftspolitik Chinas und der EU deutlich, sondern deutet auch an, dass gemeinsam die 2015 in Paris gesetzten Klimaziele erreicht werden können. Mit Blick auf das gesamte Themenspektrum der Informationsreise merkte Niebler abschließend an, dass es angesichts der aktuellen Herausforderungen in beiden Regionen wichtiger denn je ist, die Kooperation zu vertiefen. Der Zusammenarbeit der HSS mit ihren chinesischen Partnern misst sie dabei große Bedeutung zu. Wie die erfolgreiche Partnerschaft mit der Provinz Shandong zeigt, ist vielfältiger internationaler Austausch ein großer Gewinn für den Freistaat Bayern.

Autor: Alexander Birle