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Mehr als 80 Grund- und Mittelschulen von Anfang an dabei
Gründung einer deutsch-chinesischen Bildungsallianz für Nachhaltige Entwicklung

Die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen sind mehr als eine abstrakte politische Willenserklärung. In China wie in Deutschland sind immer mehr Menschen davon überzeugt, dass die Ziele nicht nur zur Richtschnur für die Politik, sondern auch für das alltägliche Handeln jedes einzelnen Menschen werden müssen. Dieses Ziel kann langfristig nur erreicht werden, wenn Nachhaltigkeit auch im Bildungssystem verankert wird.

Eine dreitägige Konferenz brachte Bildungsexperten und Lehrkräfte aus der Provinz Zhejiang zusammen

Systematische Fortbildungen mit Breitenwirkung

Das Lehrerfortbildungszentrum der Provinz Zhejiang hatte anhand objektiver Qualitätskriterien in einer Ausschreibung interessierte Schulen aus allen 11 Städten der Provinz Zhejiang für die Teilnahme am Projekt „Bildungsallianz für Nachhaltige Entwicklung“ ausgewählt. So soll eine maximale Breitenwirkung erzielt werden und das Konzept einer Bildung für nachhaltige Entwicklung in die gesamte Provinz auch außerhalb der Hauptstadt Hangzhou getragen werden. Erfolgreiche Projektschulen sollen über die Schulmauern hinauswirken und ganze Wohngebiete und Stadtviertel für Nachhaltigkeitsfragen sensibilisieren sowie weitere Schulen für eine Teilnahme am deutsch-chinesischen Kooperationsprojekt begeistern.

Auf Einladung der lokalen Regierung fand vom 22. bis 24. August 2022 eine erste Lehrkräftefortbildung statt. Austragungsort war das „ökologische Modelldorf“ Baizhang im äußersten Nordwesten Hangzhous. Mit einer Bewaldungsrate von rund 85% ist der Ort als „Bambusmeer“ und „Sauerstoffoase“ bekannt.

Umweltschutz und Nachhaltigkeit werden hier großgeschrieben und so ist es auch dem eigenen Image nicht abträglich, als Gastgeber für eine internationale Nachhaltigkeitskonferenz und Lehrerfortbildung aufzutreten.

In einem Video der deutschen UNESCO-Kommission lernten die Teilnehmer Beispiele einer Bildung für Nachhaltige Entwicklung in Deutschland kennen. Darin wurde unter anderem das Leibniz-Gymnasium in St. Ingbert im Saarland vorgestellt. Das Motto dort lautet „Vom Wissen zum Handeln“. Neben der Vermittlung theoretischer Inhalte wird dort ebenso viel Wert auf praktische Projekte im Schulalltag gelegt, die dieses Wissen umsetzen. So setzt sich die Schule als Ganzes zur Aufgabe, die Schüler fortzubilden und ihnen Werte mit auf den Weg zu geben. Ein Beispiel ist die Schülervereinigung InnoGrün, eine nachhaltige Genossenschaft, die von den Schülern gegründet wurde und bei der die Ideen der Schüler für eine nachhaltigere Gestaltung des Schulalltags immer im Mittelpunkt stehen. So konnten früher verbreitete Plastikflaschen etwa durch nachhaltige Stahlflaschen ersetzt werden. Im Zentrum steht hierbei nicht das Ergebnis, sondern in erster Linie der Lernprozess, der die Schüler zu einer kritischen Betrachtung ihrer Umwelt anregt.

Der Bonner Verein Abenteuer Lernen wurde von der UNESCO drei Mal als „Offizielles Projekt der UN-Dekade Bildung für nachhaltige Entwicklung" ausgezeichnet. Im anschließenden UNESCO-Weltaktionsprogramm wurde Abenteuer Lernen ebenfalls in 2016 und in 2017/2018 als Lernort „für herausragendes Engagement zur strukturellen Verankerung von Bildung für nachhaltige Entwicklung in Deutschland" ausgezeichnet. Einige Erfahrungen von Abenteuer Lernen im Bereich BNE teilten die Pädagoginnen Dr. Erika Luck-Haller und Birgit Kuhnen in einer Fortbildung zu den Themen „Luft“ sowie „Erdöl und Plastik“ mit Schulleitern und Lehrkräften der chinesischen Partnerschulen.

Die Fortzubildenden experimentierten u.a. mit Plastikpellets und Vogelfedern

Entwicklung von Unterrichtsmaterialien

Schon vor der Veranstaltung hatten die Hanns-Seidel-Stiftung und das Lehrerfortbildungszentrum der Provinz Zhejiang eine ganze Reihe an Unterrichtsmaterialien und Lehrerhandbücher erstellt. Die teilnehmenden Schulen brachten sich dabei aktiv in die Gestaltung von Lehrmaterialien zu den 17 UN-Nachhaltigkeitszielen ein. Zu jedem der 17 Ziele wurde ein eigenes Kapitel entwickelt.

Die Lernziele sind in eine kognitive, eine sozio-emotionale und eine verhaltensbezogene Dimension gegliedert. Die Kinder sollen also nicht nur Wissen anhäufen, sondern auch lernen, mit anderen Lebewesen mitzufühlen und nach diesem moralischen Kompass zu handeln.

Als konkretes Beispiel für den Projektunterricht dient der Umgang mit blinden Menschen:

Ihre körperlichen Beeinträchtigungen erschweren den Alltag. Aufgrund dieser Beeinträchtigungen werden sie oft ungerecht behandelt, angefangen beim Recht auf Bildung, über das Recht auf Arbeit bis hinein in fast alle anderen Lebensbereiche. Die ungerechte Behandlung blinder Mitmenschen ist allgegenwärtig.

Im Unterricht schlüpfen die Schüler in die Rolle eines Blinden und versuchen Gegenstände zu ertasten. Sie sollen zunächst durch aktives Erleben einen Eindruck davon bekommen, welchen Schwierigkeiten Blinde im Alltag ausgesetzt sind. Schließlich geht es an die Suche von Lösungsansätzen. So arbeitete eine Gruppe von Schülern an einem Projekt für einen barrierefreien Film, der durch akustische Hilfen auch für Menschen mit Sehbehinderung geeignet ist.

Die Xuejun-Grundschule aus der Stadt Hangzhou erarbeitete ein Kapitel zum Thema „Leben unter Wasser“, dem 14. UN-Nachhaltigkeitsziel. Hier wird den Schülern der Begriff der Nahrungskette nähergebracht und aufgezeigt, wie in marinen Ökosystemen alles mit allem zusammenhängt und welche weitreichenden negativen Folgen menschliches Fehlverhalten wie Umweltverschmutzung oder Überfischung auf das Leben unter Wasser hat. Veranschaulicht wird den Kindern das Problem altersgerecht mit einfachen Experimenten.

Die erarbeiteten Unterlagen kommen allen teilnehmenden Schulen zu Gute.

Die deutschen Pädagoginnen Dr. Luck-Haller und Birgit Kuhnen führten ihre Fortbildung auf Grundlage von Lehr- und Lernmaterialien von Abenteuer Lernen durch. Darin lernen Kinder spielerisch und experimentell beispielsweise die Ressource Erdöl kennen, ihre wirtschaftliche Bedeutung sowie Auswirkungen der Förderung, des Transports und der Verbrennung von Erdöl auf die Umwelt und das Klima. Im Zentrum stehen dabei das spielerische Entdecken und die Förderung von selbstständigem und kritischem Denken. Fragen wie „wo ist das Erdöl in der Natur“ oder „was passiert, wenn Öl ins Meer kommt“ sollen Kinder anhand altersgerechter Experimente unter Anleitung einer Lehrkraft selbst beantworten und daraus ihre eigenen Schlüsse für ein zukunftsfähiges Handeln ziehen.

Ausgewählte Lehrmaterialien von Abenteuer Lernen waren vorab von der Hanns-Seidel-Stiftung ins Chinesische übersetzt und inhaltlich an die lokalen und kulturellen Rahmenbedingungen in China angepasst worden. So helfen Hefte zu Themen wie „Erdöl“, „Plastik“ oder „Luft“ Kindern bei der Erkundung verschiedener Umwelt- und Klimafragen und geben den Lehrkräften pädagogische Hinweise mit auf den Weg.

Tang Xiaoshu, Vize-Bildungsministerin der Provinz Zhejiang, brachte ihre Unterstützung für das BNE-Projekt in einem Videogruß zum Ausdruck

Förderung des freiwilligen Engagements

Auch chinesische Nichtregierungsorganisationen beteiligen sich an dem Projekt. Die Alibaba-Stiftung und die lokale Umweltschutzorganisation Green Zhejiang fördern freiwilliges Engagement der Schüler in der Gesellschaft. Beispielsweise werden Schüler angeregt, in ihrem eigenen Lebensumfeld noch mehr Menschen für Nachhaltigkeitsthemen zu sensibilisieren. Freiwillige Arbeit in der Schulmensa rund um eine gesunde Ernährung und den respektvollen Umgang mit Lebensmitteln werden begleitend zur Unterrichtseinheit des Nachhaltigkeitsziels Nr. 2, „den Hunger beenden“, gefördert. Die Einbindung staatlicher Partner wie des Lehrerfortbildungszentrums des Bildungsamts der Provinz Zhejiang und zivilgesellschaftlicher Partner in einem Projekt kann die Wirkung der gemeinsamen Aktivitäten erhöhen, indem arbeitsteilig in engem gegenseitigen Austausch möglichst viele Aspekte und Zielgruppen abgedeckt werden. Auch außerschulische Lernorte, wie z.B. botanische Gärten oder Parks können in diesem Rahmen für extracurriculare Aktivitäten genutzt werden.

Austausch verstetigen

Die neu geschaffene Plattform soll Schulen langfristig binden. Lehrkräftefortbildungen werden systematisch mit festen Zielgruppen durchgeführt, sodass eine nachhaltige Weiterentwicklung des Wissens, Handelns und der inneren Einstellungen zu Nachhaltigkeitsfragen bei den Lehrern und schließlich natürlich auch bei den Schülern erreicht wird. Das Projekt soll zudem von wissenschaftlichen Studien begleitet werden, die Faktoren für eine erfolgreiche Implementierung von Bildung für Nachhaltige Entwicklung identifizieren und somit der Wissenschaft und bildungspolitischen Entscheidungsträgern neue Anregungen zu Reformen im Bildungssektor geben können.

 

Autor: Dominik Sprenger


Info: Die Alibaba-Stiftung

Die Alibaba-Stiftung wurde im Jahr 2011 gegründet und ist eine landesweite gemeinnützige Stiftung unter Aufsicht des Ministeriums für zivile Angelegenheiten.

Sie will der sozialen Verantwortung gerecht werden, die das Hangzhouer Unternehmen Alibaba als einer der weltgrößten Internetkonzerne trägt. Der Stiftungszweck besteht im „Ausbau des gemeinnützigen Engagements und in der Förderung einer nachhaltigen Entwicklung der Beziehung zwischen Mensch und Gesellschaft sowie zwischen Mensch und Natur.“ Schwerpunktmäßig fördert die Stiftung Projekte in den Bereichen Wasser- und Umweltschutz sowie Umweltbildung. Zudem unterstützt sie die Entwicklung gemeinnütziger Umweltschutzorganisationen.