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Deutsch-Chinesischer Online-Dialog zum Thema:
Zusammenarbeit versus Entkoppelung – Wie können die EU/Deutschland und China ihrer globalen Verantwortung gerecht werden?

Am 29.November 2022 organisierte die Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) zusammen mit der Gesellschaft des Chinesischen Volkes für Freundschaft mit dem Ausland (Freundschaftsgesellschaft, CPAFFC) einen Online-Dialog, bei dem renommierte Experten beider Länder über die Beziehungen zwischen China und Deutschland bzw. Europa diskutierten. Im Vordergrund stand dabei die Frage, wie die beiden Seiten ihre in den 1970ern Jahren begonnene Zusammenarbeit auch in diesen schwierigen Zeiten trotz der bestehenden Differenzen weiterhin zum Wohl der internationalen Gemeinschaft fortsetzen können.

Die Veranstaltung war ein weiterer wichtiger Beitrag, den die Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) gemeinsam mit der Chinesischen Freundschaftsgesellschaft zur Erhöhung des gegenseitigen Verständnisses leistete. Ein solcher Austausch zwischen renommierten Experten im Bereich der chinesisch-deutsch/europäischen Beziehungen kann dazu beitragen, die Beweggründe der einen Seite für die jeweils andere Seite verständlich darzulegen, und somit auch die Durchführung von hochrangigen Gesprächen fördern. Nur zwei Tage nach diesem Online-Austausch reiste etwa der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, für Gespräche nach Peking. Von deutscher/europäischer Seite nahmen Herr Markus Ferber, MdEP und Vorsitzender der Hanns-Seidel-Stiftung sowie Vizepräsident der Union Europäischer Föderalisten (mit aufgezeichneter Videobotschaft), Herr Gunnar Wiegand (Managing Director, Asien und Pazifik im Europäischen Auswärtigen Dienst), Herr Dr. Wolfgang Röhr (Senior Research Fellow, Tongji-Universität; ehem. Botschafter und Leiter des Arbeitsstabes Deutschland-China, ehem. Generalkonsul in Shanghai), Herr Thomas König (Referent, Asien-Pazifik-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft (APA) mit Schwerpunkt China, Deutscher Industrie- und Handelskammertag) an der Veranstaltung teil. Aus China waren Herr Yan Dong (Vizepräsident der Freundschaftsgesellschaft), S.E. Herr Shi Mingde (Langjähriger chinesischer Botschafter in Deutschland, Präsident der „Gesellschaft für die Chinesisch-Deutsche Freundschaft“), Herr Dr. Cui Hongjian (Leiter der Europaabteilung des China Institute of International Studies) und Herr Dr. Xiong Wei (Professor für Diplomatie und Direktor des Forschungszentrums für vergleichende außenpolitische Analysen der China Foreign Affairs University, CFAU) die Redner.

Einheitlicher Tenor: Ja zu mehr Zusammenarbeit, Nein zur Entkopplung

Die anwesenden Experten waren sich in der Grundfrage im Prinzip einig: China und Europa/Deutschland müssen angesichts dieser schwierigen Zeiten nicht weiter auseinanderrücken, sondern noch intensiver zusammenarbeiten. Dies wurde in allen Redebeiträgen deutlich, wobei bei den jeweiligen Ausführungen unterschiedliche Aspekte hervorgehoben wurden. Herr Yan plädierte gleich in seinem Grußwort für einen offenen unvoreingenommenen Austausch zwischen beiden Seiten und erinnerte an die starke Widerstandsfähigkeit, die die bilateralen Beziehungen auch während der Pandemie bewiesen hätten. Auch für die Zukunft bestünde noch ein riesiges Potenzial, das es zu entfalten gelte, weshalb die Freundschaftsgesellschaft weiterhin mit Stiftungen wie der HSS zusammenarbeiten werde, um das gegenseitige Verständnis zu verbessern.

Herr Ferber, MdEP, äußerte sich in seinem Grußwort ähnlich: Zwar bemühen sich Europa und Deutschland nach dem russischen Angriffskrieg derzeit intensiv um eine Diversifizierung bei den Energieeinfuhren und anderen wichtigen Produkten, dies dürfe jedoch nicht als Entkopplungsversuch missverstanden werden. Im Gegenteil, um die gemeinsamen Herausforderungen in einer globalisierten Welt zu meistern, komme Deutschland als antreibende Kraft in Europa sowie China als Wirtschaftsmotor Asiens eine besondere globale Verantwortung zu, mahnte er. Dieser könne man nur gemeinsam als „Partner“ gerecht werden kann - und nicht als „Rivale“.

Herr Wiegand vom Europäischen Auswärtigen Dienst ging in seinen Ausführungen auf die derzeitigen Konflikte zwischen beiden Seiten ein, zu denen unter anderem die unterschiedliche Bewertung des russischen Angriffskrieges oder der Umgang mit Taiwan zählen, kam schließlich aber zur selben Schlussfolgerung. Diese Differenzen dürften nicht zu einem völligen Abbruch der Beziehungen führen, stattdessen müsse man weiter eng zusammenarbeiten, um den schweren Krisen unserer Zeit zu begegnen. Dies müsse auf sog. „Level Playing Fields“, also auf Augenhöhe, geschehen, weshalb es auch so wichtig ist, den persönlichen (P2P) Austausch trotz der Pandemie zu fördern. Nur so könne man die „Lebenswirklichkeit“ der anderen Seite und damit auch ihre Entscheidungsgrundlagen wirklich nachvollziehen. Auch er machte klar, dass eine Diversifizierung sich maßgeblich von einer vollständigen Entkopplung unterscheide. Es sei naheliegend, nicht „alle Eier in einen Korb“ zu legen, um im Falle von unvorhergesehen Ereignissen auf Alternativen zurückgreifen zu können. Dr. Cui stimmte seinem Vorredner in den wesentlichen Punkten zu. China und Europa bräuchten einander und zwar nicht nur für Handel und Wirtschaft, sondern auch für die globale Krisen, wie man an der Klimakrise, der Russland-Krise oder der Instabilität der geopolitischen Lage sieht. Er erinnerte in diesem Zusammenhang an Präsident Xi Jinpings Worte beim G20-Gipfel in Bali: Es gebe mehr, das uns vereint, als das uns trennt.

Dass nach Kanzler Olaf Scholz nun auch Charles Michel nach China kommt, wertete er als gutes Zeichen, da sich die europäischen Politiker durch diese persönlichen Treffen ein objektiveres Bild von China machen könnten als jenes, das durch einen Großteil der westlichen Medien verbreitet wird.

Dr. Wolfgang Röhr erinnerte in seinem Vortag eingangs daran, dass sich das China zum Zeitpunkt der Aufnahme der bilateralen Beziehungen (1972) oder auch 1989 in einem chaotischen Zustand befand, man in Deutschland aber trotzdem das Potenzial gesehen habe. Trotz der negativen öffentlichen Stimmung gegenüber China hätten die deutschen Politiker weiter am Dialog festgehalten und somit die Erfolgsstory erst möglich gemacht. Er zeigte sich daher optimistisch, was die derzeit erarbeitete China-Strategie der Koalitionsregierung angeht. Zwar würde dort durchaus Kritik an China geäußert, grundlegend würde jedoch auch in diesem wichtigen Leitdokument klargemacht, dass Deutschland weiter am Dialog festhält und sich gegen eine neue Blockbildung stellt. Als konkreten Vorschlag für die nahe Zukunft empfahl Dr. Röhr, dass die deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen wieder aufgenommen werden sollten. Diese waren eigentlich als jährlicher Austausch geplant, fanden zuletzt jedoch im Jahr 2021 statt. Abschließend mahnte er, dass der europäische Blick auf China nicht monoman kritisch sein dürfe, sondern weiter auch das große Potenzial und die Vorteile erfassen müsse. Darüber hinaus müsse verstanden werden, dass es auch in anderen Regionen der Welt, selbst in den USA oder in Frankreich mit potenziellen Präsidenten Trump und Le Pen große Risiken gebe.

Der ehemalige Botschafter Shi Mingde griff diese Gedanken auf und erinnerte zunächst an den beeindruckenden Aufstieg Chinas, v.a. seit 1978. Hatte vor 50 Jahren noch fast keiner auf Chinas Stimme gehört, wolle heutzutage jeder wissen, was China zu jedem internationalen Ereignis sagt. Genau wie China sich mit seinem wirtschaftlichen Aufstieg verändert hat, hat auch Deutschland in den letzten 50 Jahren einen großen Wandel erlebt - nicht zuletzt die Wiedervereinigung. Viele der derzeit diskutierten Unterschiede zwischen beiden Ländern seien nicht neu, sie bestehen in Wahrheit schon seit Anfang an und werden auch weiter bestehen. Aber sie haben die guten Beziehungen in der Vergangenheit nicht behindert. Heute sei das politische Klima jedoch so „rau wie nie“, obwohl paradoxerweise gleichzeitig die Wirtschaftszahlen so gut wie nie sind. Die von Olaf Scholz geforderte Zeitenwende, so Shi Mingde, sollte dabei jedoch nicht auf die deutsch-chinesischen Beziehungen angewendet werden. Hier solle stattdessen für eine Kontinuität der stabilen Beziehungen gesorgt werden, damit die Win-win-Partnerschaft fortgesetzt werden kann. Globalisierung zeichne sich im Allgemeinen durch die Verflechtung von Interessen aus, genau dies sei für China und Deutschland der Fall. Eine Entkopplung widerspricht daher fundamental den Interessen beider Seiten. Stattdessen brauche es noch mehr Multilateralismus und Kooperation.

Thomas König vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag konzentrierte sich in seinem Vortrag darauf, die praktischen Vorteile der wirtschaftlichen und handelspolitischen Zusammenarbeit hervorzuheben und nannte dafür etliche Zahlen als Beleg. Durch die von der Außenhandelskammer organisierten Charter-Flüge konnte der wirtschaftliche Austausch selbst in den schwierigsten Phasen der Pandemie aufrechterhalten werden. Natürlich seien wegen der weiter fortgesetzten Null-Covid-Politik nun aber auch viele deutsche Unternehmen verunsichert, was die langfristigen Perspektiven angeht. Aufgrund der signifikanten Fortschritte in Chinas Geschäftsumfeld in den letzten Jahren seien deutsche Unternehmen aber grundlegend weiterhin gewillt, ihre Geschäftsaktivitäten auf dem chinesischen Markt weiter auszubauen. Nichtdestotrotz prüfen sie gleichzeitig jedoch auch, welche Chancen und Möglichkeiten es auf anderen Märkten in der Region gibt. Zum Entwurf der China-Strategie der deutschen Ampel-Koalition äußerte sich König enttäuscht. Seines Erachtens sei dieser Entwurf eher „ent“-mutigend und nicht „er-„mutigend, was die zukünftige wirtschaftliche Zusammenarbeit mit China angeht. Er empfahl grundsätzlich, mehr mit China zu reden, anstatt nur über China zu reden, und nicht nur einseitig auf Änderungen in China zu warten, sondern auch selbst „Gegenangebote“ zu machen. Dr. Xiong erinnerte wie schon einige seiner Vorredner daran, dass eine Ursache der aktuellen Konflikte zwischen beiden Seiten darin liege, dass das das geopolitische Gewicht der beiden Seiten zugenommen hat. Sowohl Deutschland und Europa als auch China sind eindeutige Gewinner der Globalisierung und durch dieses näher Aneinanderrücken gebe es selbstverständlich auch einige Bereiche, in denen man sich nun als Wettbewerber gegenüberstehe. Dem allgemeinen Trend der Zusammenarbeit werde dadurch jedoch nicht widersprochen, vielmehr wurde der wirtschaftliche Aufstieg erst durch die enge Verflechtung ermöglicht.

 

Autor: Ole Engelhardt