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Gastvortrag an der Renmin-Universität zum Thema Doping
Strafrechtliche Fragen des Dopings: Überblick zu den Regelungen des deutschen Anti-Doping-Gesetzes

Doping scheint im Leistungssport allgegenwärtig zu sein. Vor allem der Radrennsport mit seinem bekanntesten Wettbewerb "Tour de France" steht unter ständigem Verdacht. In Deutschland wurde 2015 aufgrund der hohen Anzahl an Fällen das Anti-Doping-Gesetz eingeführt. Der bekannte deutsche Rechtsanwalt Holm Putzke erklärte an der Renmin-Universität, wie das Gesetz funktioniert und was es bislang bewirkt hat.

Professor Putzke erklärt das Anti-Doping-Gesetz in Deutschland

 

2015 hat der deutsche Staat mit der Einführung des Anti-Doping-Gesetzes einen wichtigen Entschluss gefasst, ein geeignetes Werkzeug zu schaffen, um den Leistungssport von der Doping-Problematik zu befreien. Der bekannte Strafverteidiger und Professor Holm Putzke, Inhaber einer Lehrprofessur für Strafrecht an der Universität Passau, brachte am 19. November 2018 rund 30 chinesischen Jura-Studierenden und Wissenschaftlern der Pekinger Renmin Universität die Details und die Auswirkungen dieses Schrittes näher. Zunächst präsentierte er die wichtigsten Entwicklungen in Deutschland und stellte sich dann den Fragen der Studierenden.

Etliche Studierende lauschen Professor Putzkes Ausführungen

Wie und warum wurde Doping im Leistungssport früher unterbunden?

 

Was ist überhaupt Leistungssport? Die Grundelemente des Sports - „gewinnen, besser und schneller und höher sein“ – bilden auch die emotionale Ausgangslage für den Leistungssport.  Das direkte Verhältnis zwischen Person und Leistung sowie die direkte Vergleichbarkeit für den Zuschauer sind die Zutaten, die den Sport so faszinierend machen. Jeder Hobby-Sportler stellt schnell fest, dass er die 100 Meter nicht in unter 10 Sekunden laufen kann und entwickelt somit automatisch Bewunderung und Faszination für die globalen Sprintstars.  Zeitgleich entsteht bei vielen der Ansporn, es den Stars gleich zu tun. Sport vermittelt deshalb wichtige gesellschaftliche Werte wie die Wertschätzung von Gesundheit, Leistungsbereitschaft, aber auch Fairness und Teamgeist. Alles gut also? Nicht ganz. Denn spätestens in den letzten Jahren ist ein mindestens genauso einflussreicher Bestandteil des Sports dessen Kommerzialisierung. Durch das gewaltige öffentliche Interesse tun sich für die Sportler enorme Gewinnchancen auf, die sie zusätzlich anspornen, immer noch besser zu werden – über ihre physischen Grenzen hinaus. Hier kommt das Doping ins Spiel.

Während die manipulative Steigerung der natürlichen Leistungsfähigkeit im Alltagsleben als unproblematisch gilt (Kaffee, Ritalin, Anti-Depressiva o.ä.), ist der Einsatz solcher Mittel im professionellen Sport aus diversen Gründen ein großes Problem. Denn neben der eigenen Gesundheitsgefährdung stellt er einen Betrug gegenüber den Veranstaltern, den Fans und den Mitwettbewerbern dar.

 

Deshalb gibt es spätestens seit den 1960er Jahren Bemühungen, das Doping im Leistungssport zu bekämpfen. Diese Bemühungen wurden für mehr als 30 Jahre jedoch den Sportverbänden überlassen. Erst 1997 wurde der deutsche Staat aktiv, als Paragraph 6 des Arzneimittelgesetzes den Einsatz von Dopingmitteln im Sport untersagte. Zahlreiche Fälle in den 2000er Jahren verdeutlichten in der Folge, wie ineffektiv die bisherigen Versuche waren, weshalb im Jahr 2015 dann das spezielle Anti-Doping-Gesetz verabschiedet wurde.

 

Anti-Doping-Gesetz: Legitimes Mittel oder widerrechtlich?

Das sehr kurz gehaltene Anti-Doping-Gesetz änderte die Strafverfolgung signifikant. Konnte sich ein Athlet bislang lediglich wegen Betrugs strafbar machen (zum Beispiel durch eine unwahre Erklärung bei einem Wettbewerb, keine Mittel eingenommen zu haben), haben sich die Strafverfolgungsmöglichkeiten mit dem neuen Gesetz ausgeweitet. Wie aus dem zentralen Paragraphen 4 hervorgeht, ist es nun strafbar, Dopingmittel herzustellen, zu veräußern oder anzuwenden. Putzke äußerte sich skeptisch zu der Verfahrensweise dieses neuen Gesetzes und veranschaulichte seine Kritik an einigen wichtigen Punkten.

1. Die Strafbarkeit wird im Falle des Besitzes sehr früh angesetzt, ohne dass das Rechtsgut – die Integrität des Sports – überhaupt tangiert ist. Dies widerspricht dem Grundsatz, der Bestrafung als Ultima Ratio vorsieht.

2. Die Regelungen gelten nur für den professionellen Sport und sind damit nicht für Schul-, Universitäts- oder andere Sportveranstaltungen anwendbar. Wenn es um die Sicherstellung der Integrität des Sports ginge, so Putzke, sei diese Logik nicht nachvollziehbar. Neben dieser Unstimmigkeit bemängelt  Putzke auch die Definition eines Spitzensportlers. Dies seien unter anderem Sportler, deren Einnahmen „erheblich“ seien – die genaue Quantifizierung dieses Wertes bleibt jedoch umstritten.

3. Letztlich zeigen sich auch verfahrensrechtliche Fragen als problematisch, da Doping zum einen durch internationale oder nationale Sportverbände und zum anderen durch den Staat verfolgt werden kann. Dadurch ergibt sich die Möglichkeit von divergierenden Urteilen, beispielsweise wenn der Sportverband ein Verhalten für strafbar hält, der Staat jedoch für Freispruch plädiert. Im konträren Fall könnte es zu der problematischen Situation kommen, in der eine doppelte Strafe ausgesprochen würde, was wiederum den Rechtsgrundsatz verletzen würde, dass eine Straftat nicht zweimal bestraft werden darf.

Quo vadis?

Zum Schluss stellte Putzke  einige offene Fragen als weitere Denkanstöße.

Wenn die Selbstgefährdung ein Teil der persönlichen Freiheit ist, wie kann dann die Prävention vor einem selbstschädigenden Verhalten ein Grund für das neue Gesetz sein?

Die Integrität des Sportes ist ein Ideal – es qualifiziert jedoch nicht als Rechtsgut. Dies gilt vor allem für solche Fälle, in denen die Bestrafung schon vor der Berührung des Rechtsguts beschlossen wird. Wäre dieses Ideal als Rechtsgut tauglich, müsste es zudem auch auf Bereiche außerhalb des Profisports angewandt werden.

Die offene und kritische Auseinandersetzung mit dem deutschen Rechtssystem, seinen Institutionen und Gesetzen ist wesentlicher Bestandteil des demokratischen Rechtsstaats. Zentrale Kritikpunkte zum Anti-Doping-Gesetz hat Professor Putzke gemeinsam mit weiteren renommierten Sportrechtsexperten in einem umfassenden Gesetzeskommentar zusammengefasst und in Deutschland veröffentlicht. Als Teil einer kritischen Fachdebatte tragen Beiträge wie dieser zur stetigen Verbesserung des deutschen Rechtssystems bei.

Lebhafte Diskussion im Anschluss

In China sei das Thema Doping im Leistungssport im rechtlichen Kontext noch nicht allzu weit untersucht worden, wussten die Mitorganisatoren der Veranstaltung zu berichten. Der Wissensdurst der anwesenden Studierenden war dementsprechend ausgeprägt. Hier eine kleine Auswahl an Fragen (paraphrasiert):

Frage 1: „Wie wird mit denjenigen umgegangen, die anderen dabei helfen, sich selbst zu schaden?“

Antwort Putzke: „Der Selbstmord ist als stärkste Form der Selbstschädigung straflos. An einer straflosen Haupttat kann man sich nicht strafbar beteiligen. Die Beihilfe zum Selbstmord ist also grundsätzlich straflos. Wir haben seit neuestem aber eine Ausnahme: nämlich wenn jemand geschäftsmäßig Beihilfe zur Selbsttötung leistet, dann ist das strafbar. Straflos ist die Beteiligung aber nur […], wenn die Person, die sich selbst tötet, eigenverantwortlich handelt. Wenn ich einem Kind zum Beispiel eine Pistole gebe […] und das Kind tötet sich selbst, dann mache ich mich strafbar.

Wenn schon nicht die Selbsttötung strafbar ist, dann sind natürlich alle Selbstverletzungen auch nicht strafbar.

Es gibt jedoch auch Einschränkungen […] Dieser Eingriff, den jemand bei einem anderen vornimmt, darf nicht sittenwidrig sein. Sittenwidrig ist es zum Beispiel dann, wenn es sich um eine schwere Körperverletzung handelt. Man kann also auch sagen, wenn man einem anderen mit dessen Zustimmung den Arm abhackt, dann ist das sittenwidrig und dann macht derjenige - obwohl es gewollt war - sich trotzdem strafbar.“


Frage 2: „In Kanada wurde kürzlich Drogenkonsum (Marihuana) legalisiert. Wie ist die Situation in Deutschland?“

Antwort Putzke: „Es ist so, dass außer Alkohol und Nikotin alle anderen Drogen verboten sind.

In Deutschland ist der Konsum von Cannabis erlaubt, allerdings nur der Konsum, nicht der Besitz. Interessanterweise gilt der bloße Konsum noch nicht als Besitz. Wenn die Polizei kleine Mengen an Cannabis findet, wird dass das Verfahren beim ersten Mal sanktionslos eingestellt. […] In jedem Bundesland gelten unterschiedliche Mengen, bei denen das Verfahren eingestellt wird. In Berlin sind es bis zu 30 Gramm. Beim zweiten Mal gibt es eine kleine Sanktion. Wenn es zum dritten Mal passiert, oder wenn die kleine Menge überschritten wird, wird es bestraft.

Wir haben also in Deutschland eine nicht ganz so strenge Regelung, weil wir über das Verfahrensrecht viel Entkriminalisierung haben […], aber es ist auch anders als zum Beispiel in den Niederlanden, der Schweiz, Kanada oder einigen Staaten in den USA […], wo komplett entkriminalisiert wurde.“


Frage 3: Spitzensportler können sich weigern, beispielsweise eine Urinprobe abzugeben, und werden in solchen Fällen gesperrt. Wie ist es, wenn sich zum Beispiel ein betrunkener Autofahrer weigert, der Polizei eine Probe zu geben?

Antwort Putzke:

Eine Anti-Doping-Behörde kann einen Sportler auffordern, eine Doping-Probe abzugeben. Wenn sich er sich weigert, dann wird er gesperrt. Die Doping-Behörde kann die Abgabe einer Blut- oder Urinprobe aber nicht erzwingen. Sie hat keine staatlichen Zwangsmittel. Der Staat hat, beim Verdacht einer Straftat, staatliche Zwangsmittel. Wenn jemand keine Blutprobe freiwillig abgibt, so kann man ihn dazu zwingen. Die Anti-Doping-Behörde kann dies nicht. Wenn die Anti-Doping-Behörde aber bei einer Doping-Probe und einem Verdacht sofort die Polizei anruft […], dann könnte die Polizei theoretisch die Abgabe einer Blut- oder Urinprobe erzwingen. Dafür müsste aber der konkrete Verdacht auf eine Straftat vorliegen.

Bei der Trunkenheit am Steuer haben wir eine Straftat und unmittelbar eine Strafverfolgungsbehörde, die diese Straftat feststellt. Bei einer Doping-Kontrolle haben wir zunächst keine staatliche Behörde, sondern nur die Anti-Doping-Behörde und die kann zwangsweise nichts durchsetzen. Allerdings folgt der Verweigerung einer Blutprobe seitens der Athleten in der Regel eine automatische mehrjährige Wettbewerbssperre, wodurch faktisch eine Zwangssituation entsteht, wenn auch nicht im strafrechtlichen Sinne.

 

Autor: Ole Engelhardt