Print logo

Europa und China: Vorreiter in der nachhaltigen Entwicklung(?)

Die Europäische Union hat als Zielsetzung der erste klimaneutrale Kontinent bis 2050 zu werden. China will dieses Ziel bis zum Jahr 2060 erreichen. Beide haben das Pariser Abkommen ratifiziert und stehen hinter den Zielen der Nachhaltigen Entwicklung der Vereinten Nationen. Wie könnten China und die EU eine Vorreiterrolle bei der Förderung einer nachhaltigen Entwicklung einnehmen?

Gemeinsame Zielsetzungen: Ziele für nachhaltige Entwicklung und das Pariser Klimaabkommen

Sowohl China, Deutschland als auch die Europäische Union haben sich zur nachhaltigen Entwicklung im Rahmen internationaler Vereinbarungen verpflichtet. Zu den wichtigsten Vereinbarungen und Zielsetzungen gehört die Agenda 2030 der Vereinten Nationen, in der die Ziele für nachhaltige Entwicklung im Jahr 2015 festgelegt wurden. Neben diesen Nachhaltigkeitszielen der VN haben sich auch alle Europäische Staaten und China zum Pariser Klimaabkommen bekannt.

Die 17 übergeordnete Ziele für nachhaltige Entwicklung beinhalten insgesamt 169 Unterziele zu Themen, die von einer Beendung einer absoluten Armut bis zur Aufbau von globalen Partnerschaften reichen. Im Pariser Klimaabkommen wiederum einigten sich 197 Staaten auf die Reduzierung von Emissionen. Dabei soll der langfristige menschengemachte Anstieg der weltweiten Durchschnittstemperaturen auf deutlich unter 2°C gegenüber vorindustriellen Werten begrenzt werden. Als konkretes Ziel wird ein Anstieg der durchschnittlichen Temperaturen um maximal 1,5°C genannt, da dies die Risiken und Folgen des Klimawandels deutlich vermindern würde.

Abbildungen 1 und 2: Die  EU und in China im Vergleich
Quelle: climateactiontracker.org, 30.11.2020

Abbildungen 1 und 2: Die EU und in China im Vergleich Quelle: climateactiontracker.org, 30.11.2020

Die Realität entspricht nicht den internationalen Abkommen

Bei einer Betrachtung der aktuellen Situation zur Umsetzung der globalen Zielsetzungen stellt sich heraus, dass weder China, noch die Europäische Union, zurzeit diese Ziele erreichen werden. Dies kann in den folgenden Beispielen veranschaulicht werden.

Der vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit mitfinanzierter „Global Action Tracker“ (CAT) analysiert und wertet freiwillige Selbstverpflichtungen von ca. 30 Staaten aus. Diese werden mit den erwarteten Auswirkungen und den Zielsetzungen des Pariser Klimaabkommens verglichen. Laut dem CAT werden sowohl Deutschland, die EU als auch China ihre Versprechen nicht einhalten können.

Es gibt jedoch auch positive Zeichen. In der EU sinken die Emissionen seit mehr als 10 Jahren. Auch die Handlungen Chinas scheinen auf dem richtigen Weg zu sein, um den Emissionsanstieg vor 2030, das selbst genannte Ziel der Volksrepublik, einzuhalten.

Ein weiteres Beispiel zu den gemeinsamen Herausforderungen ist die wachsende Diskrepanz zwischen der Abfallerzeugung und dem Recycling bei elektronischen Produkten (vgl. Abbildung 3). Zwischen den Jahren 2010 und 2020 hat das Recycling bei elektronischen Produkten zwar um ein halbes Kilogramm (pro Kopf/ Jahr) weltweit zugenommen, jedoch kauft ein durchschnittlicher Bürger im Jahr 2020 über 2 Kilogramm mehr elektronische Produkte als vor noch zehn Jahren. Die weltweite Recyclingrate bei elektronischen Produkten liegt daher derzeit bei lediglich 17,9 %.  

In einem Vergleich innerhalb der betroffenen Kontinenten liegen die EU (Europa) und China (Asien) jedoch vorn. In der EU (2019, 28 Länder) werden ca. 50% der elektronischen Produkte recycelt. In den restlichen nicht-EU-Staaten liegt der Wert bei ca. 37%. Im asiatischen Vergleich schneidet China mit ca. 17 % Recyclingquote ebenfalls besser ab als der Durchschnitt (13 %).

Die Daten des CAT und aus der Abfallindustrie verdeutlichen, dass noch hoher Handlungsbedarf zur Erreichung der internationalen und selbstgesetzten Ziele besteht. Diese Diskrepanz soll unter anderem durch grüne Konjunkturprogramme gedeckt werden.

Abbildung 3: Abfallerzeugung (kg/Person/Jahr) aus elektronischen Produkten im Vergleich zum Recycling (kg/ Person/Jahr). Quelle: Universität der Vereinten Nationen (UNU), SCYCLE-Programm (Präsentation)

Abbildung 3: Abfallerzeugung (kg/Person/Jahr) aus elektronischen Produkten im Vergleich zum Recycling (kg/ Person/Jahr). Quelle: Universität der Vereinten Nationen (UNU), SCYCLE-Programm (Präsentation)

Green Recovery oder Green Washing?

Als Reaktion gegen die Corona-Pandemie planen sowohl die EU als auch China milliardenschwere Konjunkturprogramme zum „Green Recovery“ aufzusetzen. Diese sollen auf der einen Seite die nachhaltige Entwicklung ankurbeln, und auf der anderen Seite Jobs sichern. Dies geschieht in Europa unter dem Namen „EU Green Deal“, wobei in China die Förderung einer „ökologischen Zivilisation“ oder grünen Innovationen im Vordergrund stehen.

Ob und wie diese Förderprogramme einen Wandel Richtung Nachhaltigkeit befeuern werden, wird sich in den kommenden Jahren zeigen. Gerade in einer Krisensituation, wie während der gegenwärtigen Corona-Pandemie, liegt es auf der Hand nach schnellen Lösungen zu suchen, die nicht unbedingt die nachhaltige Entwicklung in den Vordergrund setzen.

Für Bürger ist es nicht immer einfach zu erkennen, ob als „grün“ oder nachhaltig vermarktete Lösungen auch wirklich umweltfreundlich sind oder es sich, oder einfach nur um „Green Washing“ handelt.

Ein Beispiel findet sich auch in Bereich der Energieversorgung, wo die Nutzung von fossilen Brennstoffen weiterhin ausgebaut wird: In China wurden z.B. im Jahr 2020 neue Kohlekraftwerke genehmigt. Die Bedeutung von Kohle im chinesischen Energiemix werden durch die letzten Zahlen der Internationalen Energieagentur verdeutlicht. Im ersten Quartal im Jahr 2020 wurde ca. 70 % des Energieverbrauchs in China durch Kohle erzeugt. Der Strom für die weltweit größte Flotte von Elektroautos stammt also oft von Kohlekraftwerken. Europa baut zwar seine Abhängigkeit von Kohle ab, setzt aber im Energiemix zunehmend auf Erdgas, das ebenso zu den fossilen Brennstoffen gehört.

Neben politischen Versprechen und den damit verbundenen strikteren Normen, können umweltbewusste Verbraucher eine wichtige Rolle bei der Zielerreichung der Nachhaltigkeitsziele einnehmen.

Umweltbewusstsein erhöht den nachhaltigen Verbrauch

Ein wachsendes Umweltbewusstsein in Europa und China, vor allem bei Jugendlichen, stärkt den Wandel in Richtung Nachhaltigkeit. Dies verdeutlicht eine Umfrage des World Wildlife Funds (WWF). Laut einer Umfrage des WWF sind 81% der befragten „Millenials“ der Meinung, dass Unternehmen bei Zulieferbetrieben, bei der Herstellung und auch als Arbeitgeber, klar zu den Nachhaltigkeitszielen bekennen sollen.

Dieses wachsende Umweltbewusstsein der Verbraucher steht im Einklang mit strengeren europäischen und chinesischen Regelungen: So sollen in den kommenden Jahren in einigen europäischen Städten z.B. keine Dieselbusse mehr zugelassen werden. In China beschränken die meisten Großstädte schon jetzt die Einfahrt von privaten Fahrzeugen zugunsten des öffentlichen (Nah)Verkehrs.

Zukunftsperspektiven für die deutsch-chinesische Zusammenarbeit im Bereich der nachhaltigen Entwicklung

Aus den Zielsetzungen, Herausforderungen und Trends lassen sich drei Bereiche für eine zukünftige Zusammenarbeit zwischen China, Deutschland und der Europäischen Union identifizieren.

Damit die internationalen Zielsetzungen der nachhaltigen Entwicklung in China und in Europa sowohl von Entscheidungsträgern und von Individuen getragen werden, soll ein Schwerpunkt auf die (1) Bewusstseinsbildung gelegt werden. Durch gezielte Dialogmaßnahmen können Entscheidungsträger sich zu einzelnen Thematiken austauschen und neue Lösungsansätze entwickeln. Des Weiteren soll „Bildung für nachhaltige Entwicklung“, im Sinne der Ziele der nachhaltigen Entwicklung der VN, besser in die Bildungssysteme integriert werden. Durch einen holistischen fächerübergreifenden Ansatz, der soziale, wirtschaftliche und naturwissenschaftliche Elemente verbindet, können auch verantwortungsvolle Individuen und Konsumenten ausgebildet werden.

Eine Bewusstseinsbildung sollte mit bilateralen Zielsetzungen im Sinne einer (2) Standardisierung geknüpft werden. Dies dient der Vermeidung von „Green Washing“, also der rein „grünen Vermarktung“ von nicht unbedingt nachhaltigen Ansätzen. China und die Europäische Union zählen zu den größten Absatzmärkten der Welt. Eine gegenseitige Anerkennung oder Entwicklung von „grünen Standards“ würde Unternehmen und Verbrauchern einen Vergleich ermöglichen und Kaufentscheidungen zugunsten nachhaltiger Produkte erleichtern. Zudem würde die Standardisierung neue Handels- und Finanzierungsmöglichkeiten mit sich bringen.

Von einer Standardisierung würden auch (3) Drittländer profitieren. Neben nachvollziehbareren nachhaltigen Handels- und Finanzierungsmustern könnten auch die umfangreichen entwicklungspolitischen Initiativen im Hinblick auf Nachhaltigkeitsaspekte verglichen werden. Zum Beispiel in Afrika gehören die Mitglieder der Europäischen Union und China zu den größten entwicklungspolitischen Akteuren.

 

Autor
Janne Leino, Chefrepräsentant Hanns-Seidel-Stiftung Zhejiang