Print logo

Interview mit dem Vorsitzenden der Chinesischen Freundschaftsgesellschaft
Chinas Sicht auf die aktuelle Corona-Situation

Neben dem Video-Austausch der beiden Vorsitzenden der HSS (Markus Ferber) und der Chinesischen Freundschaftsgesellschaft (Lin Songtian) äußerte sich Letzterer noch in einem schriftlichen Interview ausführlich zur aktuellen Lage hinsichtlich der Coronakrise und den damit zusammenhängenden Herausforderungen.

Am 8. Juli führten die Vorsitzenden der Hanns-Seidel-Stiftung (HSS), MdEP Markus Ferber, und der Chinesischen Freundschaftsgesellschaft, Botschafter a.D. Lin Songtian, ein Video-Gespräch, in dem sie sich über die aktuelle Coronakrise austauschten. Aufgrund des limitierten  zeitlichen Rahmens konnten nicht alle Themen in voller Ausführlichkeit besprochen werden. Daher führte die HSS im Vorwege bereits ein schriftliches Interview mit Botschafter Lin, in dem er sich ausführlicher zu den im Gespräch diskutierten und weiteren Themen äußerte.

Im Folgenden können Sie einen Ausschnitt dieses Interviews lesen. Die volle Version steht am Ende des Artikels zum Download bereit. 

Lin Songtian, der Vorsitzende der Chinesischen Freundschaftsgesellschaft

Die COVID-19 Situation in China

Frage: War China auf eine Pandemie vorbereitet?

Wie wir alle wissen, stellt COVID-19 eine unvorhergesehene plötzliche Epidemie dar. Bisher kann kein Wissenschaftler auf der ganzen Welt, einschließlich jene aus Industrieländern wie den USA und aus europäischen Ländern, der Welt die Herkunft und Entstehung von COVID-19 überzeugend erklären. Berichten zufolge wurde festgestellt, dass das COVID-19 bereits 2019 in den USA und in Frankreich aufgetreten sei.

Zu Beginn dieses Jahres stellte der Ausbruch der COVID-19-Epidemie in China eine ernsthafte Bedrohung für das Leben und die Gesundheit der Chinesen dar. Da dies vollkommen unerwartet geschah, gab es in der Anfangsphase einen ernsthaften Mangel an medizinischen und epidemischen Präventionsmaterialien wie Masken, Beatmungsgeräten und Schutzkleidung. China war das erste Opfer des großflächigen Ausbruchs der Epidemie in der Welt und auch das erste Land, das das Virus besiegte und anschließend geordnet die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung wieder vorantrieb. Seine erfolgreichen Erfahrungen aus der Epidemiebekämpfung teilte China der weltweiten Gemeinschaft uneigennützig mit.

COVID-19 und die Wirtschaft

Frage: Mit welchen Maßnahmen versucht China die Folgen von COVID-19 auf die eigene Wirtschaft zu lindern?

2020 ist das Jahr der umfassenden Vollendung des Aufbaus einer Gesellschaft mit bescheidenem Wohlstand, der Realisierung der Zielvorgaben des „13. Fünfjahresplans” und zugleich das finale Jahr für den Plan der Überwindung der Armut.

Nachdem die nationale Epidemiesituation in China im März dieses Jahres eingedämmt war, traf Präsident Xi Jinping sofort wichtige Anordnungen für die umfassende Koordinierung der Prävention und Kontrolle der Epidemie sowie die Wiederaufnahme der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung, den entscheidenden Kampf zur Überwindung der Armut und zum umfassenden Aufbau einer Gesellschaft mit bescheidenem Wohlstand. China wird sich auf die Einführung der Sechsfachen Stabilisierung und der Sechsfachen Gewährleistung (Gewährleistung der Beschäftigung, der grundlegenden Lebenshaltung der Bevölkerung, der Unterstützung der Marktteilnehmer, der Ernährungs- und Energiesicherheit, der Stabilität von Produktions- und Versorgungsketten sowie des Verwaltungsablaufs auf der Basisebene) konzentrieren.

Ende Mai wurde der Nationale Volkskongress von China erfolgreich einberufen, auf dem eine Reihe wichtiger Maßnahmen der chinesischen Regierung überprüft und verabschiedet wurde, um eine gute Arbeit in Bezug auf die „Sechsfache Stabilisierung und die Sechsfache Gewährleistung“ zu leisten. Dabei wurden 90 Maßnahmen in acht Bereichen ergriffen, unter anderem:

--Mit einer proaktiveren Finanzpolitik wird erwartet, dass die Unternehmen ihre Belastung im Laufe des Jahres um mehr als 2,5 Billionen Yuan reduzieren können und lokale Staatsanleihen in Höhe von 3,75 Billionen Yuan ausgeben werden.

--Die Einführung einer aktiveren Geldpolitik wird voraussichtlich im Laufe des Jahres fast 20 Billionen Yuan an neuen Krediten und mehr als 30 Billionen Yuan an neuen Sozialfinanzierungen bringen.

--In diesem und im nächsten Jahr sind Berufsbildungsprogramme mit mehr als 35 Millionen Auszubildenden geplant, um die Beschäftigung zu fördern.

China wird auch den Bau von Freihandelshäfen und Freihandelszonen beschleunigen und die „Neue Infrastruktur" tatkräftig fördern. Zudem wird China einen „fast track" und „grünen Korridor" eröffnen, um den Personal- und den Warenaustausch mit Ländern wie Deutschland zu erleichtern.

Im Mai stieg die Wertschöpfung der überdurchschnittlichen Industrieunternehmen (nach chinesischer Definition: die Unternehmen mit einem Erlös aus ihrer Hauptbetriebstätigkeit in Höhe von 20 Millionen RMB) gegenüber dem Vorjahr um 4,4%, wovon die Fertigungsindustrie um 5,2% stieg, und die Investitionen in das Anlagevermögen der gesamten Gesellschaft stiegen gegenüber dem Vormonat um 5,87%. In diesem Jahr ist China möglicherweise eines der wenigen Länder der Welt, die ein positives Wachstum erzielen können. Wir haben deshalb volles Vertrauen in das Ziel, die umfassende Vollendung des Aufbaus einer Gesellschaft mit bescheidenem Wohlstand zu realisieren und die Armut endgültig zu überwinden.

Lin Songtian mit afrikanischen Freiwilligen bei der COVID-19-Bekämpfung

COVID-19 und die internationale Zusammenarbeit

Frage: Klimaerwärmung und Pandemien sind zwei Beispiele für globale Herausforderungen, die sich nicht vor Staatsgrenzen stoppen lassen. Was glauben Sie muss sich in der internationalen Gemeinschaft verändern, um den globalen Herausforderungen der Zukunft besser begegnen zu können? Welche Rolle kann und möchte China dabei spielen?

Der Klimawandel und die COVID-19-Pandemie haben die Welt erfasst. Sie bestätigten einmal mehr, dass die Menschheit  eine Gemeinschaft mit geteilter Zukunft ist. Konfrontiert mit einer solchen gemeinsamen Herausforderung für die Menschheit kann kein Land allein wohlauf bleiben, stattdessen sind Einheit und Zusammenarbeit die einzig richtigen Entscheidungen. Es ist unverantwortlich von einem großen Land, anderen die Schuld zuzuschieben, sie zu diskreditieren und internationale Organisationen zu verlassen.

Ich denke, dass die internationale Gemeinschaft derzeit dringend die Denkmuster und Theorien der internationalen Beziehungen ändern muss. Die „Theorie der ethnischen Überlegenheit" hat bereits in der Vergangenheit große Tragödien für die Menschheit verursacht. Die Mentalität des Kalten Krieges, das Nullsummenspiel und Theorien der internationalen Beziehungen wie die „Falle des Thukydides“ oder Behauptungen, nach denen „eine Großmacht ein Hegemon sein muss“, gehören der Vergangenheit an. Hegemonien und unilaterales Handeln stoßen auf keinen Fall auf Resonanz. Stattdessen sind Einheit und Zusammenarbeit sowie Engagement für eine friedliche, gemeinsame, offene, innovative und grüne Entwicklung heute die richtigen Entscheidungen für die internationale Gemeinschaft.

Wir glauben, dass die Menschen im 21. Jahrhundert über die Weisheit, die Ressourcen und die Fähigkeit verfügen, gemeinsame Herausforderungen zu meistern. Der Schlüssel ist, dass alle Länder die Grundsätze des gegenseitigen Respekts, der Gleichheit und der Win-Win-Zusammenarbeit einhalten und zusammenarbeiten, um die Modernisierung des Global Governance-Systems und der Governance-Fähigkeiten voranzutreiben. Dies ist die einzige Wahl der internationalen Gemeinschaft und die Verantwortung der Großmächte der Welt.

Anfang 2017 hielt Präsident Xi im UN-Hauptquartier in Genf eine Rede mit dem Titel „Aufbau einer Gemeinschaft mit geteilter Zukunft für die Menschheit". Dies ist die „chinesische Weisheit" und der „chinesische Plan", die China zum Entwicklungstrend unserer Zeit beigetragen hat.

Präsident Xi schlug auch zwei wichtige Wege vor, um diese schöne Vision zu verwirklichen: nämlich den Aufbau eines neuen internationalen Verhältnisses von gegenseitigem Respekt, Fairness und Gerechtigkeit sowie eine Win-Win-Zusammenarbeit und die Wahrung der Prinzipien der Initiative „One Belt, One Road“. Das wurde von allen Seiten allgemein anerkannt und die aktive Teilnahme war hoch. Die Beld and Road-Initiative (BRI) hat ihren Ursprung zwar in China, gehört aber der ganzen Welt. China wird immer am Weg der friedlichen Entwicklung, einer friedlichen Außenpolitik und am Multilateralismus festhalten und immer ein überzeugter Verteidiger, Erbauer und Mitwirkender bei der Wahrung des Weltfriedens, der Förderung der gemeinsamen Entwicklung und der Förderung der wirtschaftlichen Globalisierung sein.

Lin Songtian mit dem deutschen Botschafter Dr. Clemens von Goetze

China und Deutschland/EU

Wie sehen Sie die Bemühungen Deutschlands, die COVID-19 Pandemie unter Kontrolle zu bringen?

Deutschland hat der Welt, insbesondere den Industrieländern, ein Beispiel dafür gegeben, den Ausbruch der COVID-19-Epidemie wirksam zu verhindern und zu kontrollieren, die Sicherheit des Lebens ihrer Bevölkerung zu gewährleisten und die Sterblichkeit wirksam zu senken. Es freut uns zu sehen, dass momentan die Epidemie in Deutschland relativ effektiv eingedämmt wird. Dies steht in direktem Zusammenhang damit, dass die Bundesregierung der Wissenschaft eine hohe Bedeutung beimisst, die Menschen große Selbstdisziplin an den Tag legen und aktiv zusammenarbeiten und dass das deutsche Gesundheitssystem von hoher Qualität ist. Deutschland hat Anfang Juli die EU-Präsidentschaft übernommen. Wir glauben, dass die EU unter der Führung Deutschlands enger zusammenarbeiten kann, um die Epidemie so schnell wie möglich zu überwinden.

In diesem Kampf gegen die COVID-19-Epidemie pflegen die Führungsebene Chinas und Deutschlands enge Kontakte, sympathisieren miteinander und motivieren sich gegenseitig. Die Regierungen, Unternehmen und Völker beider Länder arbeiten zusammen und unterstützen sich gegenseitig, was den Geist der Solidarität, der gegenseitigen Unterstützung und der gemeinsamen Überwindung von Schwierigkeiten widerspiegelt. Dies kann als Vorbild der internationalen Zusammenarbeit gegen die Epidemie bezeichnet werden. In dem kritischen Moment in Chinas Kampf gegen die Epidemie spendete die Bundesregierung zweimal Materialien an China, auch deutsche Unternehmen und gesellschaftliche Organisationen reichten China ihre helfende Hand. Es gibt eine deutsche Ärztin namens Silja Zhang, die im Kampf gegen COVID-19 immer an vorderster Front mit den Menschen in Wuhan stand und engagiert koordinierte, um 14 Tonnen medizinische Versorgung für örtliche Krankenhäuser zu beschaffen, und auch ihre chinesischen Erfahrungen mit ihren deutschen Kollegen teilte. Nach dem Ausbruch der Epidemie in Deutschland haben die chinesischen zuständigen Behörden sowie lokale Partnerstädte und private Institutionen aktiv Maßnahmen ergriffen, um der deutschen Seite rechtzeitig ihr Beileid auszudrücken, und im Rahmen ihrer Möglichkeiten materielle Hilfe zu leisten. Die umfassende strategische Partnerschaft zwischen China und Deutschland hat den Test der Epidemie bestanden! China ist bereit, seine Bemühungen fortzusetzen und die Zusammenarbeit mit Deutschland bis zum finalen Erfolg im Kampf gegen die Epidemie zu stärken.

 

Das komplette Interview finden Sie hier im Download.