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Schulungsprojekt Frauen und familienorientierte Dienstleistungen
Armutsbekämpfung mit dem Allchinesischen Frauenverband

Im Zuge des technologischen Fortschritts hat sich das Vermögen in der Welt innerhalb der letzten 50 Jahre um das Siebenfache erhöht. Produktivität und Lebensstandard konnten erheblich gesteigert werden. Doch trotz der erzielten gesellschaftlichen Fortschritte stellt das Ziel der vollständigen Armutsbeseitigung die Menschheit noch immer vor große Herausforderungen. Hier kann die Frauenförderung eine wichtige Rolle spielen.

Zwar konnte seit dem Jahr 1990 die Zahl der Menschen, die in extremer Armut leben, halbiert werden, doch bis heute sind 1,2 Milliarden Menschen betroffen. In Entwicklungsregionen lebt eine von fünf Personen noch immer unter der Armutsgrenze von 1,25 US-Dollar täglich. Gesellschaften überall auf der Welt suchen nach Wegen aus der Armut.  Auch im Rahmen der UN-Agenda 2030 für Nachhaltige Entwicklung genießt die Armutsbekämpfung höchste Priorität. Die an die UN-Millenniumsziele anschließende Agenda gibt damit die Richtung für die globalen Entwicklungsbemühungen vor. Die Überwindung der Armut ist grundlegende Staatsraison betroffener Länder überall auf der Welt und auch für die chinesische Regierung eine schwierige Aufgabe von historischer Tragweite.

China gehörte lange zu den ärmsten Ländern der Welt, doch in den letzten 40 Jahren konnte die Zahl der an Armut leidenden Menschen um 740 Millionen reduziert werden. Laut des 2015-er Berichts der Millenniums-Entwicklungsziele liegt Chinas Beitrag zur weltweiten Verringerung der Armut bei über 70 Prozent. In keinem anderen Land wurden so viele Menschen aus der Armut befreit und China war das erste Land weltweit, das die Millenniumsziele erfüllen konnte.

Teilnehmer des Kurses in Gansu

Schulungsprojekt Frauen und familienorientierte Dienstleistungen im Kreis Xihe, Provinz Gansu

Trotz aller Fortschritte gibt es in China nach wie vor ein eklatantes Wohlstandsgefälle, unter dem die Menschen in Gansu, Chinas ärmster Provinz, ganz besonders leiden. Mit Schulungen im Bereich haushaltsnahe Dienstleistungen soll nun auch denen geholfen werden, an denen der Aufschwung bisher weitgehend vorbeiging: Frauen im strukturschwachen ländlichen Raum.

Der Kreis Xihe mit seinen 442.000 Einwohnern liegt im Südosten der westchinesischen Provinz Gansu. Ende 2017 gab es dort 177 offiziell registrierte „Armutsdörfer“ mit insgesamt 67.000 armen Menschen, darunter 30.800 offiziell erfasste armutsleidende Frauen. Xihe ist einer der Kreise mit der chinaweit verbreitetsten und tiefsten Armut, bei deren Überwindung sich größte Schwierigkeiten stellen. Das „Informations- und Schulungsprojekt Frauen und familienorientierte Dienstleistungen“ fügt sich in einen umfassenden Fachaustausch zwischen der Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) und dem Allchinesischen Frauenverband (ACFV) ein. Die konkrete Umsetzung des auf einen Durchführungszeitraum von drei Jahren angelegten Kooperationsprojekts obliegt dem lokalen Frauenverband in Xihe. In drei Jahrgängen wurden von 2017 bis 2019 für insgesamt 225 Frauen 14-tägige Fachschulungen ermöglicht. Unterrichtsgegenstand waren Haushaltswesen, Wochenbettbetreuung und Altenpflege. Durch die Vermittlung fachlicher Fertigkeiten konnte eine Basis für Berufstätigkeit, Selbstständigkeit und Einkommenserhöhung geschaffen werden.

An der beruflichen Mittelschule von Xihe wurde am 26. Februar 2019 der dritte Schulungskurs eröffnet. An der Zeremonie nahmen Vertreterinnen der nationalen und lokalen Frauenverbände, Lokalpolitiker und Journalisten teil. Zudem waren die 75 Teilnehmerinnen des aktuellen Schulungsjahrgangs sowie 200 weitere Schülerinnen und Schüler des Faches Altenpflege der gastgebenden Schule geladen.

In ihrer Eröffnungsrede beschrieb Frau Cai Lin vom nationalen Frauenverband die Schulungen als „eine Form der praktischen Umsetzung der Armutsbekämpfungsstrategie von Präsident Xi Jinping, als gezielte Hilfe für den Kreis Xihe und einen wichtigen Schritt im Rahmen einer zielgerichteten Bekämpfung der Frauenarmut“. Sie gab den Teilnehmerinnen auf den Weg, das Beste aus ihrer Gelegenheit zu machen, sich neue Kenntnisse anzueignen und auch im Rahmen einer späteren beruflichen Tätigkeit große Initiative zu zeigen. So könne Armut überwunden, Wohlstand geschaffen und eine eigene berufliche Laufbahn aufgebaut werden.

Fußend auf einer fast 40-jährigen Geschichte der Zusammenarbeit mit China arbeitet die HSS schwerpunktmäßig in den Feldern Bildung, Entwicklung Ländlicher Räume und Gesellschaftspolitik. Dabei spielen Armutsbekämpfung und nachhaltige Entwicklung eine entscheidende Rolle. Alexander Birle, Büroleiter der HSS Peking, zeigte sich überzeugt, dass das aktuelle Projekt dazu beitragen kann, dass noch mehr Frauen im ländlichen Raum aus eigener Kraft ihre Lebenssituation verbessern und die Armut überwinden können.

Frau Ren Jing, Vize-Landrätin von Xihe, lobte die Schulungen als besonders praxisorientierte Maßnahme zur Förderung der Armutsbekämpfung bei Frauen in ihrem Kreis. Durch eine umfassende Aufwertung der Fähigkeiten der Frauen im Bereich haushaltsnahe Dienstleistungen werde gleichzeitig die Entwicklung des qualifizierten Dienstleistungsgewerbes gestärkt. Sie hoffe, dass die Schülerinnen ihr Verständnis für haushaltsnahe Dienstleistungen erhöhen, praktische Fertigkeiten meistern und durch Talent und harte Arbeit die Grundlage für Beschäftigung und wirtschaftliche Eigenständigkeit legen können. So können schließlich nicht nur sie selbst aus der Armut herausfinden: Vielmehr werden sie gleichzeitig zum Vorbild für weitere Frauen in ihrem Umfeld, die ihrem Beispiel nacheifern.

Gespräch mit Mitarbeiterinnen des Frauenverbandes

Vize-Landrätin Ren stellte gemeinsam mit der  stellvertretenden Direktorin des lokalen Volkskongresses auf Kreisebene, Frau Pu Huiqin, konkrete Maßnahmen im Rahmen der nationalen Strategie der zielgerichteten Armutsbekämpfung vor. Frau Zhang Wenmei, stellvertretende Vorsitzende des Frauenverbands Xihe, ging genauer auf Maßnahmen speziell zur Bekämpfung der Frauenarmut ein: Ende 2017 waren im gesamten Kreisgebiet 30.800 Frauen von Armut betroffen. Im Jahr 2018 konnten sich 10.000 davon durch eine Kombination von staatlichen Maßnahmen und eigenen Anstrengungen aus der Armut befreien. Von den verbliebenen gut 20.000 Armut leidenden Frauen sind rund 10.000 entweder behindert oder außerhalb des erwerbsfähigen Alters und empfangen daher staatliche Grundsicherungsleistungen. Schließlich müssen nun auch noch die letzten rund 10.000 Frauen ihren Weg aus der Armut finden, was nach aktuellen Prognosen im Jahr 2020 erreicht sein sollte.

Die Kreisverwaltung hat in den Dörfern Sozialarbeitsplätze geschaffen. Für Frauen mit Gründungsvorhaben ohne hinreichendes Startkapital stellt die Regierung zinsfreie Mikrokredite zur Verfügung. Im Jahr 2017 erhielten mehr als 2.100 Frauen Gründungskredite für Ihre Vorhaben in Bereichen wie traditionelle chinesische Medizin, Rinder- und Schafzucht oder Landwirtschaft. Die Rückzahlrate betrug ganze 98,9 Prozent. Im Rahmen des Projekts „Frauenwerkstatt gegen Armut“ sollen künftig verstärkt Beschäftigungsmöglichkeiten vor Ort geschaffen werden, sodass die Frauen gleichzeitig Armut überwinden und trotzdem bei ihren Familien bleiben können. So sollen nun auch die durch die Abwanderung von Arbeitskräften entstandenen gesellschaftlichen Folgeprobleme zurückgelassener Kinder und Senioren angegangen werden.

Austausch mit Kursteilnehmerinnen und Ausbilderinnen

Während der Schulungen bekamen Vertreter der HSS die Gelegenheit, sich hautnah mit Kursteilnehmerinnen und Ausbilderinnen auszutauschen. Eine Kursteilnehmerin erklärte, dass sie künftig in der Altenpflege arbeiten wolle, denn Arbeitgeber legen sehr viel Wert auf festes Pflegepersonal, das sich langfristig in ihren Dienst stellt, wodurch wiederum eine relativ hohe Beschäftigungssicherheit in diesem Sektor bedingt ist.

Eine andere Teilnehmerin, die sich auf den Bereich Mutter-Kind-Pflege spezialisieren will, hatte zuvor in der Millionenmetropole Guangzhou gejobbt, war aber, um sich um ihr Kind zu kümmern, zurück nach Xihe gekommen. Sie gab an, nach der Schulung wieder zurück ins entwickelte Südostchina gehen zu wollen, um in der Mutter-Kind-Pflege tätig zu werden.

Eine weitere Frau gab im Gespräch an, bereits über einige Kenntnisse im Bereich Haushaltsdienstleistungen zu verfügen. Sie hofft, ihre berufsrelevanten Fähigkeiten im Rahmen der Schulung noch weiter auszubauen, um so schließlich eine bessere Ausbildung für ihre drei Kinder finanzieren zu können.

Eine Ausbilderin gab zu Protokoll, dass die Schulungen in den letzten drei Jahren von Jahr zu Jahr besser wurden und die Schülerinnen sehr großes Engagement zeigten. Viele Teilnehmerinnen der vergangenen Jahre stehen bis heute über soziale Medien mit der Schule in Kontakt, um sich über technische Fragen im Rahmen ihrer Arbeit auszutauschen. Gleichzeitig, so die Ausbilderin, muss der Unterricht weiter verbessert werden. So sollen flexibel Grundwissen und erweiterte Kenntnisse vermittelt werden, um noch besser auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Schülerinnen eingehen  können. Zudem wies sie auf die Notwendigkeit von Fortbildungen auch für die Kursleiterinnen hin. Noch fachgerechtere Lehrmaterialien und eine vermehrte Einbringung internationaler Altenpflegeerfahrungen könnten die Qualität der Fortbildungen noch weiter erhöhen.

Der Schulleiter der berufsbildenden Mittelschule erklärte, dass der gesellschaftliche Bedarf nach qualifizierten Wochenbettbetreuerinnen und Krankenpflegerinnen enorm hoch sei, es jedoch an Fachkräften mangele. Unter den gut neun Millionen Einwohnern der Stadt Qingdao sind gut zwei Millionen Senioren, jedoch gibt es nur rund 7000 Fachkräfte, die in der Altenpflege tätig sind. Eine zweiwöchige Schulung reicht aus, um die grundlegenden Erfordernisse der Branche zu erfüllen, doch eine umfassende fachliche Ausbildung dauert etwa zwei bis drei Jahre. Er ist überzeugt, dass das Projekt noch mehr arme Frauen aus den verschiedenen Dörfern des Kreises Xihe - und sogar aus dem städtischen Raum - zu einer beruflichen Umorientierung animieren kann und so zu weiteren Einkommenssteigerungen beitragen wird. Die im Rahmen der Schulungen angeschaffte Sachausstattung soll künftig in der regulären Altenpflegeausbildung der Berufsschule weiter verwendet werden, um so noch mehr Fachkräfte auszubilden. Auch auf diese Weise wird das Projekt einen langfristigen Beitrag zur Armutsbekämpfung vor Ort leisten.

Diskussion während der Eröffnungsveranstaltung

Das Informations- und Schulungsprojekt Frauen und familienorientierte Dienstleistungen im Kreis Xihe von HSS und ACFV hat sich bewährt als effektives internationales Kooperationsprojekt zur nachhaltigen Linderung der Armut in China. Das Projekt konnte die gesellschaftliche Akzeptanz haushaltsnaher Dienstleistungen vor Ort steigern und so ein gutes Umfeld für eine Tätigkeit in diesem Bereich schaffen. Schülerinnen der beiden vorangegangenen Jahrgänge konnten inzwischen vor Ort sowie in Großstädten wie Qingdao, Shanghai, Peking oder Tianjin Beschäftigung finden. Die Beschäftigungsquoten der beiden Jahrgänge liegen bei 80 beziehungsweise 70 Prozent und die durchschnittlichen Monatseinkommen bei etwas mehr als 4000 beziehungsweise 3200 RMB.

Chinas Kampf gegen die Armut ist noch lange nicht gewonnen. Um gemäß den offiziellen Zielsetzungen die Armut bis 2020 vollständig zu beseitigen, bedarf es noch mehr Kooperation zwischen allen relevanten Akteuren und es müssen noch mehr effiziente und nachhaltige Herangehensweisen erprobt werden. Chinas langfristige Erfahrungen und innovative Ansätze der Armutsbekämpfung werden schließlich auch der Armutsbekämpfung im internationalen Kontext als konstruktive Anregungen dienen und so zu einer noch rascheren weltweiten Überwindung der Armut im Sinne der UN-Ziele für Nachhaltige Entwicklung beitragen.

Autorin:             Jia Jingjing

Übersetzer:       Dominik Sprenger