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Die Hauptstadt: Kulturelle Konstruktion, Governance und Entwicklung
3. Internationales Forum zur Hauptstadtentwicklung mit der Renmin-Universität

Am 6 und 7. November 2021 organisierte die Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) zusammen mit der Renmin-Universität, der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Shanghai Jiaotong University in Peking im Hybridformat die dritte Ausgabe des Internationalen Symposiums zur Rolle der Hauptstadt. Ein spezieller Fokus lag dabei auf der Zeit nach dem 2. Weltkrieg und der Frage, welche Lehren die unterschiedlichen Hauptstädte in West- und Osteuropa oder in China aus diesem katastrophalen Ereignis für den (Wieder-) Aufbau ihrer nationalen Hauptstadt gezogen haben.

An der zweitägigen Konferenz nahmen unter Leitung von Professorin Meng Hong vor Ort in Peking zahlreiche chinesische Professoren und renommierte Experten teil. Dazu gehören u.a. der ehemalige chinesische Botschafter in Deutschland Shi Mingde, Zhang Miao, Parteisekretär des städtischen Verbands für Sozialwissenschaften und des Planungsbüros für Sozialwissenschaften, oder Prof. Ye Yumin, Vizedirektorin des Akademischen Komitees des Forschungsinstituts für die Entwicklung und Strategie der Hauptstadt. Per Videoschalte konnten sich zudem zahlreiche internationale Kollegen mit Schilderungen über die Stadtentwicklung in ihren Ländern einbringen. Hier sind zum Beispiel Prof. Konrad H. Jarausch von der University of North Carolina und ehemaliger Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung (ZZF) in Potsdam, Prof. Martin Baumeister, Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Rom (DHI Rom), oder Dr. Katja Levy, Research Fellow am Manchester China Institute der University of Manchester, zu nennen. Auf diese Weise fanden wertvolle Beiträge aus Deutschland, Polen, Ungarn oder England ihren Weg in die Diskussionen, wodurch ein interessanter, vielfältiger und gewinnbringender Vergleich der Hauptstadtentwicklung in verschiedenen Teilen der Welt ermöglicht wurde. Im Folgenden werden primär die Schilderungen der drei Experten zusammengefasst, die die HSS für die Konferenz eingeladen hat: Prof. Yves Flückiger (Rektor der Universität Genf, Schweiz), Mag. Stephan Auer-Stüger (Abgeordneter im Wiener Landtag) und Regina Bäck (Doktorandin an der Katholischen Universität Eichstätt und Katholischen Stiftungshochschule
München).

Wissenschaft als Fundament des Austauschs

Prof. Flückiger konzentrierte sich in seinem Vortrag „Higher Education and Science policy on the development of the City of Geneva after 2nd World War” zwar nicht auf die Hauptstadt der Schweiz, zeigte aber eindrucksvoll, wie wichtig der wissenschaftliche und humanitäre Sektor in Genf für die Schweiz als Ganzes war, um eine wichtige und konstruktive Rolle in die internationalen zu spielen. 1863 markierte nicht nur für Genf, sondern für die ganze Welt einen Meilenstein – in diesem Jahr wurde in der Stadt am Genfer See das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) gegründet. Circa 60 Jahre später sollte auch der Vorgänger der heutigen Vereinten Nationen, die League of Nations (LoN) hier gegründet werden. In der Gründungsphase der UN nach dem 2. Weltkrieg war es nur folgerichtig, ein wichtiges Büro (das für Menschenrechte) in Genf zu situieren. Es waren die ersten Jahre nach dem katastrophalen Krieg, in denen Genf endgültig zur Hauptstadt der internationalen Gemeinschaft wurde: innerhalb weniger Jahre ließen sich hier die ILO, die GATT, die WHO oder die UNHCR nieder. Heute nennen 41 internationale Organisationen und über 1.000 NGOs Genf ihr Zuhause. Mit der Eröffnung des CERN im Jahr 1953 wurde auch die Rolle der Stadt als Heimat für bahnbrechende Forschung zementiert. Auch die Universität von Genf (UNIGE) spielt hier natürlich eine wichtige Rolle. Dem Vorbild der internationalen Ausrichtung der Stadt zeichnet sich auch die Universität durch ihren hohen Grad an Internationalität aus: circa 40 Prozent der etwa 19.000 Studenten kamen aus dem Land in die Schweiz. Diese internationale Offenheit ist zum Leitprinzip der UNIGE geworden was sich auch an den zahlreichen Kooperationsprogrammen zeigt. Wie wichtig der stetige offene internationale Austausch ist, um Lösungen für globale Probleme zu finden, wurde leider Anfang 2020 durch die COVID-19-Pandemie abermals unterstrichen. Prof. Flückiger erinnert in diesem Kontext daran, dass es unerlässlich ist, multi-disziplinäres und multi-institutionelles Netzwerk zu schaffen, in dem sich Politik, Wissenschaft, internationale Organisationen und NGOs offen austauschen können. Zu diesem Zweck wurde bereits 2018 das „Geneva Science Policy Interface“ gegründet, das genau diese reibungslose Kommunikation unterstützen soll, um Win-win-Ergebnisse zu ermöglichen.

Neuausrichtung nach der Katastrophe

In Sachen Internationalität steht Österreichs Hauptstadt Genf in gar nicht mal so vielem nach, wie Mag. Auer-Stüger in seinem Vortrag „Wien: Metropole im Herzen Europas und Ort für Begegnung, Frieden und Freiheit“ erklärte. Direkt nach dem Zweiten Weltkrieg war die Situation allerdings äußerst schwierig: Die Stadt selbst war durch die Kriegsfolgen teilweise zerbombt, Wirtschaftlich und sozial war Wien sehr geschwächt. Rasch beschloss die politische Führung der Stadt in dieser „Stunde Null“, sich nach außen hin offen und als Ort des Dialogs international zu orientieren. Die Auflage des Staatsvertrages von 1955, mit dem die volle Souveränität Österreichs wiederhergestellt wurde und die gesetzliche Vorschrift zur immerwährenden Neutralität haben für Wien die Möglichkeit geboten, sich als internationale Drehscheibe und als Treffpunkt und Vermittlerin zwischen den Interessen verschiedener Nationen zu positionieren. Während „Stunde Null“ zwar einen kompletten Neuanfang suggeriert, erinnert Mag. Auer-Stüger kritisch daran, dass die Stadt Wien bei ihrer Neuerfindung und Neupositionierung nach 1945 in Wahrheit sehr wohl auch auf positives in der Vergangenheit zurückgriff: Zu nennen sind hier das Bild der internationalen Metropole eines Großvölkerreichs in der Habsburgermonarchie. Oder als eine Stadt in der zum Beispiel Der Wiener Kongress 1815 den Schauplatz für die Neuordnung Europas nach großen kriegerischen Auseinandersetzungen geboten hat.  So nachvollziehbar das positive Festhalten am altem und an besonders positiv besetzten Dingen der Vergangenheit ist, muss gleichzeitig festgestellt werden, dass das Negative und das Schreckliche der jüngeren Vergangenheit dabei bewusst ausgeblendet wurde – nicht zuletzt die Verbrechen am Wiener Judentum durch die Nazis in Österreich. Der Blick nach vorne, die neue Positionierung der Stadt wurde daher auch ein Stück auf Kosten der Opfer der Vergangenheit gemacht.

In den Jahren nach dem Krieg konnte sich die Stadt als Ort des Friedens, der Freiheit und der internationalen Kommunikation präsentieren und wurde sehr rasch in den 50er und 60er Jahren zu einer der wichtigsten Kongressstädte Europas und der Welt - das ist sie bis heute. Nicht nur wurde hier 1961 auf dem internationalen Diplomatenkongress mit den „Wiener Konventionen“ das bis heute geltenden Regelwerk für die internationale Diplomatie beschlossen. Dass Wien bis heute diese wichtige Schauplatzfunktion für internationale Verhandlungen hat, zeigt auch die jüngste Vergangenheit: Die Gespräche zur Nutzung ziviler Atomenergie Im Iran haben in Wien stattgefunden.

Doch nicht nur solche wichtigen (einmaligen) Gespräche und Konferenzen zeugen von Wiens besonderer Rolle für die internationale Gemeinschaft. Ähnlich wie in Genf ließen sich auch in Wien mit der Zeit immer mehr wichtige internationale Organisationen nieder. Die OPEC, die OSZE, die IAEA oder natürlich der sehr prominente Sitz der UNO-Organisationen in der „Vienna International City“ (VIC, auch Uno-City genannt) direkt an der Donau sind eindeutige Belege dafür. Bis heute ist Wien die einzige Stadt mit einem UNO-Sitz in der Europäischen Union. Die Niederlassung solcher Organisationen hatten auch einen direkten Einfluss auf die Stadtplanung, da sie dazu geführt haben, dass ambitionierte großflächige Bauprojekte – wie eben zum Beispiel die Uno-City – realisiert wurden.

Doch selbstverständlich war und ist die Positionierung Wiens als internationale Metropole kein Selbstzweck. Schon bald erkannte man in Wien die Konkurrenz zu anderen großen Städten und Metropolen in Mitteleuropa: Budapest, Prag, München, Zürich. Daher war es wichtig, sich neben den politischen Organisationen auch als Stadt für internationalen Handel und später auch für Forschung zu positionieren. Begleitet wurde diese Positionierung immer mit dem Hervorheben der sogenannten weichen Standortfaktoren, in Wien vor allem die Kultur und kulturelle Geschichte der Stadt.

Bis heute knüpft die politische Führung der Stadt immer wieder an die Tradition des politischen Dialogs an:  So hat erst vor kurzem Bürgermeister Dr. Michael Ludwig den „Pakt der freien Städte“ für Wien unterzeichnet. Dieser Pakt steht für Demokratie, freie Wahlen, gegen populistischen Nationalismus und insbesondere auch für den Schutz von Minderheiten vor Diskriminierung. Wie in den Jahrzehnten zuvor setzt sich Wien damit für Freiheit und Frieden ein und geht hier den Weg gemeinsam mit anderen großen Städten in Mitteleuropa.

Wie VR- und AR-Technologien den Austausch zwischen München und Peking fördern

Frau Regina Bäck richtete ihren Blick in ihrem Vortrag „Beijing-Munich: Augmente and Virtual Reality Projects: Embracing media Art, Public History and Art Education“ nicht nur auf Europa, sondern bezog auch Chinas Hauptstadt Peking mit ein.

Sie präsentierte Konzepte zwischen Medienkunst und Kunst-/Geschichtsvermittlung und fokussierte sich dabei auf Augmented und Virtual Reality (AR und VR)-Konzepte in der Konzeption mit Beispielen aus Peking und München. An eindrucksvollen Beispielen, wie eine virtuelle Führung durch Pekings Verbotene Stadt (Cai Guo-Qiang: „Sleepwalking in the forbidden city“, 2020) verdeutlichte sie, wie moderne Technologien heute dafür eingesetzt werden können, um den internationalen Austausch selbst dann aufrecht zu halten, wenn die Menschen sich an unterschiedlichen Orten befinden. In Zeiten von COVID-19 hat dieses Thema natürlich eine ganze besondere Relevanz. 

Als weitere aktuelle Beispiele für Augmented und Virtual Reality-basierte Formen der öffentlichen Geschichtsvermittlung präsentierte sie u.a. AR-basierte virtuelle Statuen zum Gedenken an weibliche historische Persönlichkeiten in München (z.B. Anita Augspurg) oder verschiedene Projekte in interdisziplinärer Teamarbeit (LMU/TUM, GeschichtePLUSdigital), die als Formen transdisziplinärer didaktischer Projekte diskutiert werden.

Dabei skizzierte sie gleichermaßen Herausforderungen der AR/VR-Technologie in Bezug auf Zugänglichkeit versus Exklusivität von Bildungskontexten. Mit Blick auf Studien zu Technologieakzeptanz näherte Frau Bäck sich in ihrem Vortrag außerdem auch der Frage, inwiefern neue Zielgruppen erschlossen werden können.

Bei allem erinnerte sie daran, dass es bei dem Einsatz von VR/AR-Technologien stets wichtig ist, diese Fragen als komplexe interdisziplinäre Herausforderung von Ethik durch Design und Bildung im Bereich der Kunst-/Medienpädagogik und Museumspädagogik anzugehen.

 

Autor: Ole Engelhardt